Jüdisches Leben im heutigen deutschen Raum
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Wahrscheinlich um die Zeitenwende siedelten sich erste Gruppen von Juden erstmals auf heute deutschem Boden an. Sie lebten in den römischen Städten am Rhein wie etwa Köln, wo ihre Existenz spätestens zu Beginn des 4. Jahrhunderts nachgewiesen werden kann. Die jüdischen Gemeinden Mitteleuropas gruppierten sich meist um rabbinisch gelehrte Fernhändler. Auch der große Geldhandel wurde bereits in diesen Gruppen betrieben.

Im Mittelalter bildeten die jüdischen Gemeinschaften in der Regel streng abgeschlossene Gruppen, die jedoch meist ohne Probleme in der christlichen Gesellschaft lebten. Diese Lage änderte sich diametral mit den Kreuzzügen, während derer in den Jahren 1096 und 1147/49 Juden verfolgt und massenhaft ermordet wurden. Auch für die verheerende Pestepidemie der Jahre 1348/49 wurde die jüdische Gemeinschaft zum Sündenbock gemacht. Sie erlitten blutigste Verfolgungen. Im späten Mittelalter wurden die Juden nach und nach aus fast allen wichtigen Städten der deutschen Territorien verdrängt. Seit dem 15. Jahrhundert siedelten viele Familien in den ostmitteleuropäischen Raum über.

In Westeuropa erfuhren die Gemeinden in der frühen Neuzeit zum Teil durch die Förderung der „Hofjuden“ einen Aufschwung. Diese Händler und Unternehmer versorgten die absolutistischen Herrscher auf deutschem Boden mit dringend benötigten Finanzen, Luxuswaren und Versorgungsgütern. Einer der bekanntesten war der Bankier Joseph Süss Oppenheimer, Ende des 17. Jahrhunderts geboren, Hofjude am württembergischen Hof – seine Geschichte wurde im infamen NS-Streifen „Jud Süss“ verfälscht. So glanzvoll das Leben der „Hofjuden“ sein konnte, die Mehrheit der Juden lebten in der Regel in Armut.

Mit der Aufklärung gab es ab dem 18. Jahrhundert rechtliche und soziale Fortschritte für die jüdische Gemeinschaft. Auch das Judentum reformierte sich (Haskala). Einer der bedeutendsten Figuren war dabei der Philosoph Moses Mendelssohn (1729-1762). Gerade das zu dieser Zeit entstehende Reform-Judentum erlaubte eine Annäherung an christliche Bräuche. Andere religiöse Richtungen wie das konservative und orthodoxe Judentum sperrten sich dagegen.

Im Zuge der Neuerungen der Französischen Revolution wurden der jüdischen Minderheit in Frankreich erstmals die vollen Bürgerrechte zugestanden – ein Meilenstein in der Emanzipation auch der Juden östlich des Rheins. In den deutschen Staaten dauerte dieser Prozess dagegen quälend langsam. Die rechtliche Gleichstellung war hier in der Regel gekoppelt an den sozialen Status der jüdischen Familien. Nur schrittweise ging der Prozess vorwärts. Die Reaktionsphase nach dem Wiener Kongress des Jahres 1815 war ein Rückschlag für die Emanzipation. Erst 1871 wurde im neu gegründeten Deutschen Reich die völlige rechtliche Gleichstellung der Juden erreicht.

Obwohl sich vermehrt antisemitische Gruppen bildeten und politisch agitierten, begann im Kaiserreich der soziale Aufstieg der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland. Ein deutsch-jüdischer Patriotismus bildete sich heraus – im Ersten Weltkrieg schickten viele jüdische Eltern ihre Söhne mit einiger Begeisterung in den Kampf für die deutsche Sache. In der Zeit nach 1918 bildeten die jüdischen Intellektuellen und Industriellen ein nicht wegzudenkendes Element im quirligen Leben der Weimarer Republik.

Mit der Machtübernahme der Nazis 1933 wurden die Juden sukzessive aus der Gesellschaft gedrängt, verfolgt und schließlich ermordet. In der Weimarer Zeit lebten in Deutschland knapp 900.000 Menschen jüdischer Abstammung, etwas mehr als ein Prozent der Gesamtbevölkerung. Die Mehrheit von ihnen emigrierte oder wurde ermordet. Anfang der Fünfziger Jahre lebten auf deutschem Boden etwa noch 25.000 Juden. Diese Zahl stieg bis zum Zuzug von russischsprachigen Juden seit 1990 nicht wesentlich. Seit dem aber wächst sie beständig. Derzeit sind über 80.000 Juden in den Gemeinden registriert. GES