Scharping hält die Stellung

Im Verteidigungsausschuss rechtfertigt der Minister penibel seine Flüge. Die verzagte Opposition nimmt Zuflucht zum Vorwurf der „Korinthenkackerei“

aus Berlin PATRIK SCHWARZ

Dass dies nicht der Tag der Opposition wird, ist spätestens klar, als Paul Breuer aus der Sitzungspause wiederkehrt. Zwei Stunden hat der verteidigungspolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion da schon Zeit gehabt, Verteidigungsminister Rudolf Scharping zu grillen – und eine knappe Stunde Auszeit, um sich eine Strategie für weitere peinigende Fragen zu überlegen. Für Breuers Schlussfolgerung hätte auch die Lektüre der Bunten gereicht: „Dass er für acht Stunden nach Mallorca geflogen ist, ist nicht zu rechtfertigen.“ Bald zwei Wochen nach Beginn der Auseinandersetzung um Rudolf Scharping ist die politische Erörterung seiner Amtsführung wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt: zum angeblichen Liebesflug nach Mallorca. Recht viel mehr, glaubt die Opposition offenbar inzwischen, wird ihm nicht anzuhängen sein.

Schon am Morgen war bei den Abgeordneten von CDU, CSU und FDP eine auffällige Unlust zu bemerken gewesen, über die rund 50 Flüge des Ministers an den Wohnort seiner Lebensgefährtin Gräfin Pilati in Frankfurt zu reden. Die Rechercheure im Verteidigungsministerium hatten Zahlen zutage gefördert, wonach seinerzeit Helmut Kohls Verteidigungsminister Volker Rühe deutlich öfter an seinen Heimatort Hamburg flog – und auch in der Gesamtzahl der Flüge den eiligen Rudi ausstach. So ungern sich Scharping sonst an Einsatzfreude überbieten ließ, so froh wird er diesmal gewesen sein. Die Union konzentrierte sich darum lieber auf den Vorwurf des Geheimnisverrats. Bei einer Pressekonferenz in Mazedonien soll er den Transportweg für Soldaten preisgegeben haben. „Das ist ein halber Rückzug der Opposition“, focht der SPD-Abgeordnete Gernot Erler zurück. Weil die Flüge nichts hergäben, suche sich die Opposition ein anderes Feld.

Im Verteidigungsausschuss erlebten die Abgeordneten dann einen Scharping, wie er immer ist: übereifrig. 349 Flüge auf 72 Seiten hatte er penibel aufgelistet, dazu sogar noch ein ärztliches Attest beigebracht, das ihm bescheinigte, Ende Juni mit Lungenentzündung zur Arbeit von Frankfurt nach Berlin geflogen zu sein. Für Kranke, so lautete wohl der Gedanke dabei, ist die Lufthansa nicht zumutbar. Dankesbriefe von Vertretern der Unternehmensberatung Roland Berger bescheinigten ihm überdies die Freundlichkeit, aus Rücksicht auf ihre Termine zu Treffen am Frankfurter Flughafen bereit gewesen zu sein.

Zwar hatte die Opposition gefordert, der Minister möge jeden einzelnen seiner Frankfurtflüge aufklären. Nun, da Scharping dem Wunsch Folge leistet, wirft der CSU-Abgeordnete Christian Schmidt ihm aber „Erbsenzählerei“ vor: „Wir werden nicht jeden einzelnen Flug untersuchen. Ich werde mich nicht auf die Korinthenkackerei des Oberamtsrats Scharping einlassen.“

Nun stürzen Minister in diesem Land ohnehin nicht über Vorwürfe der Opposition, sondern nur über den Missmut der eigenen Leute. Wie kommt es aber, dass es an diesem Montag so scheint, als hätte der Minister, den viele in seiner Partei und in den Medien schon im Abgrund sahen, noch einmal eine Notlandung hingelegt? Die Stimmung hat sich gedreht – in der Öffentlichkeit, vor allem aber im Kanzleramt. Da war die Umfrage von Infratest-dimap, die Scharping bescheinigte, 66 Prozent der Deutschen lehnten seinen Rücktritt ab. Da war die SPD-Fraktionssitzung am Donnerstag, die nicht zuletzt im Kanzleramt mit Bangen erwartet worden war. Schließlich hatte Verkehrsminister Klimmt seinerzeit den Hut nehmen müssen, weil die Fraktion gegen die Stützversuche von Gerhard Schröder rebellierte. Doch diesmal erregten sich die SPD-Abgeordneten mehr über Franz Müntefering als über Rudolf Scharping, weil der SPD-Generalsekretär den Abweichlern bei der Mazedonienabstimmung mit Daumenschrauben gedroht hatte.

Irgendwann in der letzten Woche muss dann Gerhard Schröders Entscheidung gefallen sein, Scharping nicht nur pro forma beizustehen. Lag es daran, dass der Kanzler für sein defizitäres Ministerium keinen neuen Minister fand? Fürchtete er, der achte Rücktritt in drei Jahren würde sich zusammen mit der schlechten Konjunktur und dem Zuwanderungsstreit zu einem explosiven Cocktail mischen? Oder spielte doch das Erbarmen mit dem 1995 beim Mannheimer Parteitag abservierten Parteichef Scharping eine Rolle, wie es der kolportierte Satz nahe legt: „Der Rudi tut mir leid“?

Mittwoch nacht kurz nach elf trat Schröder das erste Mal vor die Kameras, seitdem beteuerte er seine Unterstützung für den angeschlagenen Minister beinah in Halbtagesschritten. Die Genossen in Regierung, Fraktion und Partei schlossen daraus, dass es „dem Chef“ offenbar ernst ist, und stellten sukzessive das eigene Zischeln und Tuscheln ein.

Wenn Rudolf Scharping jetzt noch etwas zu Fall bringt, dann wohl nicht die Wucht der Anklage, sondern sein Wust an Rechtfertigungen. Je mehr sich einer verteidigt, desto leichter verheddert er sich. Aber das wird der Verteidigungsminister schon wissen.