Rot-Grün wandert ohne Schily

Bei der Zuwanderung sollte sich die Koalition erst einmal untereinander einigen und weniger an den Bundesrat denken, sagen SPD und Grüne. Schily widerspricht

BERLIN taz ■ Ob es Otto Schily gefällt oder nicht: SPD und Grüne wandern wieder aufeinander zu. Es sei besser, wenn die Koalition beim Zuwanderungsgesetz „erst einmal die eigenen Reihen“ schließe, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, gestern bei einem Pressegespräch in Berlin. Sein Satz löste sogleich Spekulationen aus: Rücken SPD und Grüne nunmehr davon ab, einen möglichst breiten Konsens mit der Opposition zu suchen? So deutlich wollte dies gestern niemand sagen. Aber auch der grüne Rechtsexperte Volker Beck betonte gegenüber der taz: „Zunächst mal geht es darum, dass wir einen Gesetzentwurf hinbekommen, mit dem die Koalition leben kann.“

Nach dem Streit in der Koalitionsrunde beim Kanzler hatten die Grünen den Schily-Entwurf als „nicht zustimmungsfähig“ bezeichnet. In den vergangenen Tagen forderten dann auch SPD-Politiker und der Deutsche Gewerkschaftsbund Verbesserungen beim Flüchtlingsschutz und liberalere Regelungen beim Nachzugsalter von Kindern. Einige SPD-Abgeordnete kündigten sogar an, notfalls aus Gewissensgründen gegen Schilys Gesetzentwurf zu stimmen.

Seit gestern laufen nun Verhandlungen zwischen sozialdemokratischen und grünen Zuwanderungsexperten über einen gemeinsamen Koalitionsentwurf – in „sehr freundschaftlicher Atmosphäre“, wie Dieter Wiefelspütz (SPD) berichtete. Bei den Gesprächen sollte man, so Schmidt, „nicht so sehr an diejenigen denken, die im Bundesrat sitzen“. Angesichts der unklaren Haltung der Union sei es schließlich möglich, dass ein „Herr Müller in der jetzigen Situation ein anderer sein könnte als im Vermittlungsvorgang“, meinte er in Anspielung auf den saarländischen Ministerpräsidenten, der zu den Befürwortern einer Einigung gezählt wird. Schmidt schloss nicht aus, dass es in dieser Legislaturperiode zu keinem Gesetz mehr kommt. An eine Verständigung mit der Union scheint er nicht mehr recht zu glauben. In der ohnehin schwierigen Situation sei es erst einmal wichtig, einen rot-grünen Regierungsentwurf vorzulegen, sagte Schmidt. Er gehe davon aus, dass Schily diese Einschätzung teile.

Doch das ist mehr als fraglich. Der Innenminister blieb auch gestern bei seiner Linie und betonte den Wunsch nach einem Konsens mit der Union. „Es macht sicher keinen Sinn, einen Entwurf ‚rot-grün pur‘ vorzulegen und damit gegen die Wand zu laufen“, sagte Schilys Sprecher der taz. „Jedenfalls dann nicht, wenn man eine Zuwanderungsregelung wirklich will – und wir wollen das.“ Der Innenminister habe den „eindeutigen Auftrag des Kanzlers“, einen Entwurf vorzulegen, der eine Mehrheit in Bundestag und Bundesrat findet. Daran habe sich nichts geändert. Dieser Auftrag entspreche auch der „politischen Logik“, so Schilys Sprecher, „weil man eine weitreichende Zuwanderungsregelung nicht ohne die Zustimmung der Union im Bundesrat durchsetzen kann“. Ein Konsens sei auch gesellschaftspolitisch wünschenswert – und möglich: „Man sollte nicht so tun, als ob es einen hundertprozentigen Dissens zwischen Grünen und CSU gäbe.“ So seien beim Asylrecht Gemeinsamkeiten erreicht worden. Auch die CSU habe auf ihre Forderung nach einer Änderung des Asylrechts verzichtet.

Nicht nur die Grünen sträuben sich weiter gegen Schilys Gesetzentwurf. Auch SPD-Fraktionsgeschäftsführer Schmidt sagte gestern, der bisherige Entwurf enthalte bekanntlich bereits eine Reihe von Vorschlägen, mit denen man der CDU/CSU entgegenkomme.

„Es kann ja nicht darum gehen, dass ein Koalitionsentwurf das Müller-Papier plus CSU bedeutet“, machte Grünen-Politiker Beck gestern klar. „Eine Einigung kann nicht unter den hundertprozentigen Bedingungen des Gegners zustande kommen“, sagte Beck. „Das wäre keine Einigung, das wäre ein Diktat.“

LUKAS WALLRAFF/
SEVERIN WEILAND