Dem Tanz alle Sinne öffnen

Die Luft transformieren: Choreograph Saburo Teshigawara kennt keine Grenzen. Auch nicht in Absolute Zero auf Kampnagel  ■ Von Marga Wolff

Er gilt als ein Magier des Tanzes. Nicht zuletzt, weil er das schier Unmögliche vollbringt: Saburo Te-shigawara bringt die Luft zum tanzen. Denn Luft, sagt der japanische Avantgardekünstler, kann man formen, weil sie unsichtbar ist. Das Nichts will er erforschen, um dem Tanz alle Sinne zu öffnen. Und dann führt der Starchoreograph aus Tokio gerne die Szene aus Stanley Kubricks Film 2001 – Odyssee im Weltraum an, in der ein Astronaut ins All geschleudert wird, und spricht von dieser „gewaltigen Leere, in der der Tod nicht existiert, sondern nur das pure Leben hineingewor-fen ist.“

Absolute Zero ist ein solcher Tanz, der auf das Nichts zusteuert und dabei den absoluten Tanz entdeckt. Mit diesem Stück gastiert er jetzt beim Festival Laokoon, als abschließender Höhepunkt des von Kampnagels neuer Leiterin Gordana Vnuk in diesem Jahr zum ersten Mal veranstalteten Sommerfestivals. Der technisch aufwendigen Bühnenkonzeption wegen wird es allerdings nicht auf Kampnagel, sondern im Schauspielhaus gezeigt.

Der 15. September – der Tag der Premiere – ist übrigens auch Te-shigawaras 48. Geburtstag. Doch das sind für ihn nur Zahlen. Den Alterungsprozess sieht er eher als Transformation von Energie. Konkrete Zustände sind es stets, die ihn im Tanz interessieren. Um die Luft zu entdecken, ließ er sich Anfang der 80er acht Stunden lang in einen Erdhaufen eingraben. „Anschließend“, erzählt er, „habe ich gespürt, wie sehr ich die Luft brauche, um aufrecht zu stehen und um zu gehen.“ Seitdem arbeitet der gelernte Bildhauer und frühere klassische Tänzer an einem Tanz, der eine Skulptur der Luft erschafft.

Choreographie wäre ein zu enger Begriff, um das Universum dieses Tanzschöpfers zu beschreiben. Gesamtkunstwerke sind es bei Te-shigawara, in denen Tanz, Klang, Licht und Raum zu einer faszinierenden Einheit verschmelzen. 1991 gastierte Teshigawara mit seiner Compagnie Karas (Rabe) zum ers-ten Mal in Hamburg. Seine Soloarbeit Here to Here, eine asketische Tanzinstallation, mit der er 1995 ein weiteres Mal hier zu Gast war, wurde damals mit dem Mobil-Pegasus-Preis ausgezeichnet.

Teshigawaras Kunst ist eine Begegnung der Extreme, gleichzeitig aber ein Ausdruck größter Einfachheit. Er ist ein Ästhet, arbeitet abstrakt. Er nennt es „objektiv“, denn er hasst Theatralik. „Ich bin eine sehr realistische Person“, sagt er. „Meine Methoden im Tanz sind konkret und entspringen nicht allein meinen Gedanken. Ich studiere die Elemente, die ich im Tanz für wesentlich halte. Und diese Elemente betreffen mit Sicherheit nicht allein die Kunst.“

Wesentlich sind zum Beispiel Schwerkraft und die Atmung. Aber ebenso die Umgebung. Denn Tanz ist für Teshigawara immer Austausch und Wechselspiel. Tanz ist für ihn ein Kunstwerk, das sich gewissermaßen selbst erschafft, in der Auflösung von Widerständen.

Ein Solo, wie auch Absolute Zero, zu tanzen, geht für ihn als Choreograph mit der Distanzierung von sich selbst einher. „Und ich suche mir einen Partner. Die Musik, den Raum, das Licht oder die Luft“, betont er. Tanz muss für ihn mehr sein, als dass man seine Befindlichkeiten abruft. Er selbst erinnert sich noch genau an den Moment, als ihm die Fähigkeit, sich selbst aus unterschiedlichen Perspektiven zu betrachten, zum ersten Mal bewusst wurde. Zehn Jahre alt sei er gewesen und habe einen ganz schönen Schreck bekommen. „Zum ersten Mal war mir klar, dass es ganz allein mein Leben ist, das ich lebe und nicht das meines Vaters oder meiner Mutter.“

Kultur bezeichnet für ihn etwas, das allen Menschen gemeinsam ist. Er unterscheidet nicht grundsätzlich in Ost und West. Er ist Kosmopolit, der mit seiner Arbeit in Europa – er kreierte Stücke für das Ballett Frankfurt und das Bayerische Staatsballett, unterichtete Workshops in London – viele junge, vor allem europäische Choreographen beeinflusst hat. Seit zwei Jahren hat das europäische Büro von Saburo Te-shigawara und seiner Compagnie Karas seinen Sitz in Hamburg. Jetzt denkt Te-shigawara zusammen mit Gordana Vnuk daran, auf Kampnagel eine Schule für zeitgenössischen Tanz einzurichten. „Eine gute, effektive Technik“, sagt er, „ist notwendig im zeitgenössischen Tanz, damit er mehr ist, als eine subjektive Angelegenheit einzelner Charaktere.“

15.+16.9., 21 Uhr, Schauspielhaus