Fallen gestellt

Das Theaterhaus Weimar hat für zwei Tage ein Arbeits-labor auf Kampnagel eingerichtet  ■ Von Nikola Duric

In dem Film Was Frauen wollen spielt Mel Gibson einen alternden Werbefachfutzi, der plötzlich statt selbst aufzusteigen, eine Frau als Chefin bekommt. Als erste Aufgabe sollen ihre Mitarbeiter Reklamekonzepte für Frauen-Produkte erstellen. Und so findet sich der Macho-Kreative Gibson, vollgetankt mit Rotwein, in seinem Badezimmer wieder: mit Lippenstift im Gesicht, Enthaarungscreme auf der Brust und Seidenstrumpfhosen an den Beinen. Beim akrobatischen Fußnägellackieren rutscht er auf den Fliesen aus und schlägt sich den Schädel am Badewannenrand an. Aus der Ohnmacht erwachend kann er auf einmal die Gedanken von Frauen hören. In der besten Szene des Films vermag Gibson auch die Überlegungen von Hundedamen mitzubekommen. Ansons-ten ist Was Frauen wollen ein blöder Film.

Schon besser ist da Odyssey_Lab/1–3/Projektreihe 2001, ein multimediales Bühnenstück der Gruppe Theaterhaus Weimar, das für zwei Tage beim Laokoon-Festival auf Kampnagel zu Gast war. Auch dort versucht ein junger Reklameerfinder Hutch (Fabian Frauendorf), sich in Frauen hineinzudenken. In einer „kreativen Stunde“ des Werbebüros, in dem das Stück spielt, stellt Hutch seiner Vorgesetzten Helen (Susann Hempel) die Intimlotion „Yvette“ vor. Mit Reklamefilm, Soundtrack und allem Pipapo. Am Ende der Szene hält die Theatermaschinerie an und das Theaterstück wird im schnellen Modus zurückgespult.

Das technische Theatersetting der New Yorker Wooster Group scheint sich inzwischen als Standardausstattung für „modernes Theater“ durchgesetzt zu haben. Im Bühnenlabor des Theaterhauses Weimar ist das Technikpult mit seinen Bedienern sichtbar. Es gibt kleine Monitore, große Leinwände, Diaprojektoren, Beamer, Arbeitstische, Requisitenecken, eine Konzertbühne mit Kinderorgel und eine Videokamera für Stellen, an die das Zuschauerauge nicht herankommt.

Das Theaterhaus Weimar arbeitet mit den Mitteln der Kommunikationsbeschleunigung. Die drei bis vier Schauspieler in dem stilisierten Werbebüro sind von einer Art „fieberhaften Faulheit“ getrieben. Während all ihre Energien vermutlich in die Freizeit wandern, implodieren die Arbeitnehmer im Betrieb zu Figuren, die ihre Arbeit, oder was mal als solche bekannt war, ständig nachzuahmen scheinen. Der Arbeitsplatz mutiert zur konstruierten Spaßmaschine. Arbeit soll nicht mehr als Anstrengung empfunden, auch nicht mehr als Warenform gefeiert werden, sondern einfach nur Gaudi verbreiten. Das Horrorszenario, das Guy Debord in Die Gesellschaft des Spektakels entwirft, ist endgültig Wirklichkeit geworden.

Die Angestellten/Schauspieler wechseln ständig ihre Rollen. Sie bewerben sich ein ums andere Mal unter neuem Namen für den eigenen Job. Im ersten Teil des Abends, der sich „Der Stuntman übernimmt die Rolle des Darstellers“ nennt, überzeichnen die Schauspieler permanent ihre Figuren und wechseln dabei immer mehr in filmische Darstellung über.

Der zweite Teil des Stücks, „Vor den Augen der Seefahrer tun sich wunderbare Landschaften auf“, ist im Grunde nur noch Film. Auf der mittleren Leinwand laufen Videospiele oder Clips mit den Darstellern als Darsteller. Die Schauspieler gesellen sich zu ihren eigenen Projektionen, die wie eine bewegte Bluebox genutzt werden. Das Ganze, wiederum mit zwei Kameras abgefilmt, lässt einen zweiten Film mit zwei Perspektiven entstehen. In großem Bogen beschreibt Odyssey_Lab die „Gesamtmerkwürdigkeit“ des Lebens anhand von abs-trusen Arbeitsverhältnissen.

Mithilfe seines multifunktionalen Apparates und mehrschichtiger Darstellungsformen reiht sich das Theaterhaus Weimar in die Form des „genealogischen Theaters“ ein: ein Theater, das die Denkhorizonte seiner Stücke offen lässt, Fluchtlinien bereithält und Lücken schafft, die gleichzeitig zu Fallen werden können – für das Theater selbst, oder die Zuschauer. Das „genealogische Theater“ hat zum einen gewissenhaft genaue technische und historische Kenntnisse. Zum anderen arbeitet es mit einem lokalen und spezifischen Wissen. Es ist besserwisserisch und amateurhaft, dilettantisch und detailgenau. Es ist choreografisch und musikalisch. Die Kampnagelleiterin Gordana Vnuk nennt es noblen, der Modemacher Lagerfeld luxuriösen Dilettantismus. Oder, wie es Lessing in Laokoon ausdrückt: „... je mehr wir sehen, desto mehr müssen wir hinzudenken können.“