Jeder trauert auf seine Weise

Das Berliner Abgeordnetenhaus gedachte gestern der Opfer des Terrors. Der Regierende Bürgermeister warnte vor „Eskalation der Gewalt“. Parlamentspräsident Reinhard Führer (CDU) teilte die Berliner Bürger in Kritiker und Freunde der USA

von ROBIN ALEXANDER

Die drei großen Fahnen mit dem Berliner Bären, mit Schwarz-Rot-Gold und mit den Sternen der Europäischen Union hängen an diesem Tag schwarz umrahmt im Berliner Abgeordnetenhaus. Und auch die Parlamentarier und die Senatsangehörigen tragen Trauer – jeder auf seine Weise: Bei den Herren dominieren dunkle Anzüge. Einige CDU-Abgeordnete zeigen schwarze Armbinde. Kultursenatorin Adrienne Goehler trägt zum schwarzen Kostüm nur dezenten Holzschmuck an Ohr, Hals und Handgelenk.

Um Landespolitik geht es heute nicht in Berlins Volksvertretung. In einer Schweigeminute wird den Opfern des Terrors gedacht. Nur zwei Reden werden gehalten an diesem Tag: Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und der Parlamentpräsident, Reinhard Führer (CDU), sprechen beide über Berlin, über die Vereinigten Staaten von Amerika und über Gedanken und Gefühle in diesen Stunden. Beide Politiker reden zu den gleichen Themen – und finden ganz unterschiedliche Worte.

Parlamentspräsident Führer sagt gleich zu Beginn seiner Ansprache „Fanatiker haben bisher Unvorstellbares getan“. Es scheint noch keine Worte zu geben, um Gefühle und Gedanken in Zusammenhang mit diesem „bisher Unvorstellbarem“ auszudrücken. Vielleicht erklärt das, warum Führer, ein 55-jähriger CDU-Politiker aus Neukölln, zur Sprache des kalten Krieges und ihren lang verbrauchten Metaphern greift: „Ein Attentat auf die Gemeinschaft der freien Völker“ habe sich ereignet. Angesichts der Terrorakte scheinen Führer auch die Ereignisse des Ost-West-Konfliktes gegenwärtig zu werden. Um an das Engagement der ehemaligen Schutzmacht USA zu erinnern, listet Führer historische Ereignisse auf: die Luftbrücke und den Mauerbau. In dieser Stunde der Trauer teilt Führer, dessen Aufgabe es ist, für das ganze Parlament zu sprechen, die Berliner in gute und nicht so gute Freunde der USA: „Aber es gab – auch in Westberlin – eine Zeit, in der die Politik der USA nicht ungeteilte Zustimmung fand: Während des Vietnamkriegs fanden auch hier antiamerikanische Demonstrationen statt. Diese Kritik hielt bis in die 80er-Jahre an. Doch es war eine Minderheit, die sich daran beteiligte.“

Ganz anders der Tenor von Klaus Wowereit. Er beschreibt die „bedrückte und ernste Stimmung“ in der Stadt, nennt „Lichterketten, stilles Gedenken und Gottesdienste“. Der Regierende Bürgermeister, der am Morgen in einem Radiointerview bekannt hatte, Angst vor „ so schrecklichen Anschlägen“ zu haben, ist auch in seiner Ansprache nahe an der Stimmung der Menschen: Er fürchtet einen drohenden Gegenschlag der Amerikaner. So explizit formuliert der vorsichtige Wowereit allerdings nicht. Er bemüht den katholischen Kardinal Sternzinsky, der bereits am Dienstag im Berliner Dom Politiker in allen Ländern der Welt zur „Besonnenheit“ aufrief. Die Forderung des Bischofs macht sich auch Wowereit zu eigen: „Es darf keine Spirale der Gewalt geben.“