„Grauenhafte Normalitätspropaganda“

Das zweite ZDF-„Fernseh-Nachtstudio“ widmete sich den US-Anschlägen, Tierheim-Soaps und dem „live-live“-Effekt

Kultursendungen im Fernsehen sind unerträglich, denkt man oft. Am meisten nervt nicht so sehr das bildungsbürgerliche Posieren der Beteiligten, sondern vor allem, das über Sachen gesprochen wird, die man noch nicht kennen kann.

In den drei Nachtstudiosendungen, die zu machen Moderator Volker Panzer den tv-begeisterten Schriftsteller Rainald Goetz eingeladen hatte, ist es sozusagen umgekehrt. Drei Männer – Goetz, Moritz von Uslar, Volker Panzer – und ein wechselnder weiblicher Gast sprechen über Sendungen, die schon gelaufen sind. Das hat etwas Demokratisch-Dialogisches, und man ist als Zuschauer nicht so in die Passivität gedrängt: Selbst wer die Sendungen nicht gesehen hat, weiß meist ganz gut Bescheid, weil es Ähnliches schon zuhauf gab. Die erste Sendung war begeisternd chaotisch, weil man sich auch schon mal verhaspelte oder an Gedanken versuchte, die noch nicht in- und auswendig vorformuliert im eigenen Kopf herumstanden.

Im Mittelpunkt der zweiten „Fernsehen“-Sendung des „Nachtstudios“, das wegen der laufenden Berichterstattung über die Ereignisse und ihre Rezeption erst um Viertel nach eins begann, standen natürlich die terroristischen Anschläge in den USA. Die Terrorberichterstattung scheint der beste Beleg dafür zu sein, dass man das, was man über die Welt weiß, von den Massenmedien weiß. Als Gast hatte man die Fernsehkritikerin Klaudia Brunst eingeladen. Sie sagte, sie habe beim Gucken den Eindruck gehabt, alles sei für den Zuschauer von CNN inszeniert worden. Moritz von Uslar sagte, die Berichterstattung habe ihn zum ersten Mal in seinem Leben dazu gebracht, tagsüber Fernsehen zu gucken, und hob etwas hervor, was man – analog zum samstäglichen Sat.1-Film-Film, das Live-live-Moment der Katastrophenberichterstattung nennen könnte. Man ist dabei und alles ist echt, jetzt und einzigartig, also anders als in der alltäglichen Gegenwart, die von der übrigen Zeit aufgefressen wird. „Vielleicht erlebt man das nur einmal im Leben.“ (Uslar) Gleichzeitig ist es eine „Inszenierung“ (Panzer) oder „das Drama der Aktualität“ (Goetz) eben. Man hätte noch länger über dies Nebeneinander von Inszenierung, also Künstlichkeit, Dramatisierung der Katastrophe in der ersten Live-Phase und ihrem unmittelbaren Gegenwärtigkeitscharakter sprechen können. Ein anderer Effekt, den Klaudia Brunst erwähnte, hing nämlich unmittelbar damit zusammen: Dass das Gefühl der Anteilnahme, Trauer usw. erst viel später kommt als die Bilder; dass man – wenn man nicht unmittelbar beteiligt ist, über Freunde etwa, die im WTC arbeiteten – nicht angemessen emotional reagieren kann. Ein klassisch psychoanalytischer Gedanke, der entscheidend ist bei der Katastrophenrezeption. Mit Meinungen, die über die Rezeption der Ereignisse hinausgehen, hielten sich die Diskutanten zurück. Das war wohltuend.

Dass man sich irgendwann eine Pause gönnte und zwei Minuten lang einfach durch alle Fernsehkanäle zappte, auch. Zudem wurde nun nicht etwa die ganze Stunde über den Terroranschlag gesprochen, schon nach 20 Minuten wandte sich das Trio auch anderen Sendungen zu, Günther Jauchs „IQ“-Versuch zum Beispiel. Was Brunst „Unterhaltisierung von Wissen“ nannte, fanden Goetz und von Uslar super – gerade wegen der kontemplativen, stillen Momente, in denen man den Menschen beim Nachdenken zuschauen konnte.

Die „Fernsehen“-Ausgaben des „Nachtstudios“ beeindrucken als Intellektuellenformat, das man ansonsten nur aus dem französischen Fernsehen kennt. Selbst wenn Brunsts Lieblingssendung „Herrchen gesucht“ laut Goetz „grauenhafte Normalitätspropaganda“ betreibt.DETLEF KUHLBRODT