Wege aus demNetz der Sucht

Onlinesucht gibt es fast so lange wie das Internet selbst. Allerdings kam sie als Scherz in die Cyberwelt: 1995 veröffentlichte der New Yorker Psychiater Ivan Goldberg eine Liste mit von ihm erfundenen Symptomen der Internetsucht. Diese Scheindiagnose platzierte er zum Spaß in der Expertenmailingliste „Psychology of the Internet“.

Goldberg hatte mit amüsierten Reaktionen seiner Kollegen gerechnet, stattdessen wurde er jedoch mit Mails von tatsächlich Betroffenen überhäuft. Seitdem wird Onlinesucht von Wissenschaftlern systematisch untersucht. Sie sprechen neben Internet- und Onlinesucht auch vom Internetabhängigkeitssyndrom (IAB) oder von Pathologischem Internetgebrauch (PIG).

Doch selbst Fachleute erkennen teilweise Onlinesucht nicht als eigenständigen Störungsbegriff an. Sie behaupten, das Internet sei nicht die Ursache der Sucht, sondern die Sucht sei bloß Ausdruck und Symptom anderer persönlicher Probleme oder psychischer Erkrankungen. Was letztlich an der Tatsache, dass ein Mensch nicht mehr aus dem Netz herausfindet, nichts ändert.

Für Betroffene in Deutschland ist es schwierig, fachgerechte Hilfe in ihrer Suchtsituation zu finden. Onlinesucht wird hier eigentlich erst seit 1999 als Problem wahrgenommen – vor allem durch die Übersetzung des Buches „Caught in the Net“ der US-amerikanischen Psychologin Kimberley Young („Caught in the Net – Suchtgefahr Internet“, München 1999, Kösel, 311 Seiten, 38,90 Mark) sowie durch die Gründung der einzigen überregional arbeitenden Selbsthilfegruppe HSO. Allerdings wurde diese vor kurzem wegen finanzieller Probleme aufgelöst.

Unter www.onlinesucht.de konnten sich Onlinesüchtige austauschen, informieren und den Kontakt zu Psychotherapeuten aufnehmen, die sich mit Internetabhängigkeit beschäftigen. Tausende von Anfragen per Mail und Telefon mussten die Initiatoren des Netzwerkes pro Monat in ehrenamtlicher Arbeit entgegennehmen. Doch sämtliche Bemühungen um Fördermittel scheiterten – auch das Gesundheitsministerium und das Bundeskanzleramt fühlten sich nicht zuständig. So wurde die Arbeit eingestellt – die Website ist allerdings noch online und wird regelmäßig aktualisiert.

In den USA wird das Problem bereits ernster genommen, da das Internet dort schon länger und intensiver genutzt wird als bei uns. Die US-amerikanische Suchthilfe ist traditionell eng mit dem Zwölf-Schritte-Programm der Anonymen Alkoholiker verbunden, das in den Dreißigerjahren entwickelt wurde (http://alcoholism.about.com/library/weekly/aa981021.htm). Selbsthilfegruppen wie die „Internetters anonymous“ oder die „Webaholics anonymous“ wenden dieses Programm auch bei Onlinesüchtigen an.

In München gibt es seit kurzem eine Ambulanz für Internetabhängige (www.psychiater.org/Internetsucht/ambulanz2.htm). Unter www.psychiater.org/Internetsucht/test.htm kann man testen, ob man zu den onlinesuchtgefährdeten Personen zählt. Und unter www.internetsucht.de veröffentlicht die Berliner Humboldt-Universität die Ergebnisse ihrer Studie zur Onlinesucht. JUTTA HEESS