Tango und mehr

Ein unbedarfter Nichttänzer versucht seine ersten Berührungen mit dem Tango und ist verwundert

Tango in Berlin, das ist eine unübersichtliche Szene. In Tanzschulen, Clubs und Cafés begeben sich Menschen in unstabile Seitenlagen. Sie lassen sich helfen von ausgebildeten Tanzlehrern aus Argentinien und anderswo, für die Zentrifugalkraft und Änderungen der Tanzrichtung normale Parameter eines Tanzes sind. Planeos, Barridas und Gancho sind dann irgendwann keine Fremdwörter mehr.

An einem unverdächtigen Donnerstag haben wir uns aufgemacht zum alten, abgenutzten Parkett des Grünen Salons in der Volksbühne. Schon seit Anfang der Neunziger wird hier Tango gelernt und getanzt. Wenn Böhme und Eggert mal nicht saufen, talken und Gäste nerven, kommen reifere und unreife TänzerInnen in den Melting Pot unter der hübschen Stuckdecke.

Intimität auf engerem Raum findet der Tänzer aber nicht nur im Grünen Salon. Hier jedenfalls findet der Kontaksuchende, der sich zu schüchtern zum Auffordern fühlt, auch gleich noch den Flyer für „Distanz und Nähe“-Workshops. Schüchternheit zu überwinden kann teuer werden: 350 Mark kostet der Workshop. Er geht aber auch drei Tage und es wird auf die gleiche Anzahl Männer und Frauen geachtet.

Tango verlangt nicht nur ein gewisses Körpergefühl, auch die Verpackung sollte angemessen sein. Deshalb besucht der Interessierte zum Beispiel die Webseite von Rosa Tangomode. Rosa Tripp empfiehlt das Oberteil Tanguera mit dem Unterteil Pugliese zu kombinieren. Vor allem wichtig sind auch die Schuhe. Laien würden wohl am liebsten in Adidas-Sportschuhen antanzen – aber schicke hochhackige Schuhe, gern ein wenig sexy, sind eher angesagt. Ansonsten gern mal tief ausgeschnitten, und im Rock sollte ein nicht zu kurzer Schlitz den Beinen Seitenausgang lassen – sonst kann’s bei zu viel Leidenschaftlichkeit gern mal einen unangenehmen Ratsch geben. Und wer hat schon immer Nähzeug dabei?

An Locations mangelt es nicht. Seit Ende Juli kann man auch auf dem Schiff Tango tanzen. Auf der „Hoppetosse“ an der Arena in Treptow wird bei schönem Wetter auf dem Oberdeck, im Winter im Salon im Unterdeck ein Schiff gekapert von Tänzern. Wer gleich mehrere Tage an Bord eines alten Segelschiffs bleiben möchte, der kann gern mit dem Schiff „Nurten“ eine Tangoschiffsreise durchs Mittelmeer buchen. Gerade jetzt findet die siebte Segelpartie durch die Ägäis statt.

Beim Tango kommt es übrigens nicht nur sehr auf die Fuß- und Beinbewegung an. Die Hände des Mannes sind besonders wichtig. Die führende Hand ist beschäftigt, aber die andere ist zu Ausflügen über den Rücken der Partnerin verführt. Ein sanftes Berühren der bloßen Haut des Rückens hat schon bei mancher Tänzerin Schauer ausgelöst, die der Mann meinte mit tiefen Blicken oder eruptiven Beinschwüngen ausgelöst zu haben. Frauen lassen die Männer dann gern in dem Glauben, den sie sollen sich ja so richtig schön männlich fühlen. Aber die Damen der „Hurra mein Busen ist größer als mein Hirn“-Generation der Feldbusch-Barbies, die froh um jeden Macho sind, der ihnen die Cabrio-Tür aufhält, sind gar nicht beim Tango. Der nämlich ist vor allem was für nachdenkliche, eher melancholisch angehauchte Gemüter. Einzeln tanzen jedenfalls gilt heute schon fast als verklemmt. Also, auf in den Tanzkurs. ANDREAS BECKER