Die Preußen sind im Salsa-Fieber

Der afrokaribische Tanz bewegt seit Jahren immer mehr Menschen. Exil-Chilenen brachten ihn nach Berlin, die Kubaner sind heute Motor der Szene

von KLAUS KONIEZKA

Afrokaribische Klänge schwingen durch die aufgeheizte Luft. Das Abendrot mischt sich mit dem stahlblauen Himmel, der immer dunkler wird und die ersten Sterne funkeln lässt. Unter großen weißen Schirmen sitzen oder stehen Hunderte von Menschen. Viele trinken Caipirinha und andere exotische Cocktails. Mittendrin ein Holzpodest, etwa dreimal so groß wie ein Boxring. Über 100 Hüften wiegen sich paarweise im Takt, Augen strahlen sich an. Frauen werden ein- und ausgedreht oder raffiniert um den Mann herumgeführt. Arme scheinen sich zur verknoten, finden sich aber einen Augenblick später, wie von Zauberhand gelenkt, in der Ausgangsposition wieder.

Nein, wir befinden uns nicht in der Karibik, sondern mitten in Berlin. Genauer gesagt, in Prenzlauer Berg im Hof der Kulturbrauerei. Hier residiert seit einem Jahr eine der angesagtesten Salsa-Locations: der Soda-Club. Und wenn das Wetter mitspielt, wird unter freiem Himmel Salsa getanzt.

Seit einigen Jahren boomt der afrokaribische Tanz in Berlin. Ständig eröffnen neue Salsatecas, inzwischen gibt es jeden Tag mehrere Möglichkeiten, ein heißes Tänzchen aufs Parkett zu legen. Am Wochenende können die Salseros zwischen rund 20 Orten wählen. Wer Salsa in Kursen oder Workshops lernen will, hat eine immer größer werdende Auswahl: spezielle und allgemeine Tanzschulen, Volkshochschulen, private LehrerInnen und teilweise auch die Salsatecas zeigen von den ersten Schritten bis zu den gewagtesten Drehungen, wie’s funktioniert.

Was heute mehrere tausend Menschen in Berlin begeistert, war hier vor zwanzig Jahren nahezu unbekannt. Im Laufe der 70er-Jahre erwuchs bei politisch links stehenden Menschen ein großes Interesse für Lateinamerika, speziell für Chile und Nicaragua. So waren es die hier gelandeten Exil-Chilenen, die den Berlinern Salsa zeigten. Carola Reichel, eine Salsa-Pionierin der ersten Stunde, erinnert sich: „Am Anfang tanzten wir bei Festen mit den Chilenen in Wohnungen oder in Hinterzimmern von Vereinen.“ Der lebensfrohe Tanz hat sich dann im Freundeskreis der Politaktiven schnell verbreitet und die lateinamerikanische Musik tat ihr Übriges“, weiß die 50-jährige Reichel.

Anfang der 80er-Jahre wurde Salsa öffentlich. In Charlottenburg eröffnete das „Salsa“, wo häufig hier lebende Latinos mit Live-Musik die Tänzer antrieben. Der kleine Club avancierte schnell zum Geheimtipp und war immer brechend voll. Als dann 1983 Salsa-Größen wie Celia Cruz, Ruben Blades oder Willie Colon in der Waldbühne mit ihrer feurigen Musik begeisterten, gab es „einen richtigen Schub“ so Reichel. Erste Tanzstudios wie das Estudio Sudamerica, Tango Vivo/Salsa Viva oder Reichels Schule in der UFA-Fabrik, die inzwischen Cultura con corazon cubano heißt, entstanden.

Der richtige Salsa-Boom begann dann 1990, unmittelbar nach dem Mauerfall. Viele in der DDR lebende Kubaner nutzten nun die Möglichkeit, „ihren“ Tanz ins Rampenlicht zu stellen. Im alten Ostberlin wurde Salsa trotz der innigen Bruderschaft mit Kuba nur hinter verschlossenen Türen in Wohnheimen oder auf Privat-Partys getanzt. Die Kubaner, die auch durch die Auswanderungswelle von der Zuckerrohrinsel 1992/93 immer häufiger in Berlin anzutreffen waren, wurden zum Motor der Salsa-Szene. Ob als Tanzlehrer, DJ, Salsateca-Betreiber oder als gefragter Tänzer, der sich in die Herzen der einheimischen Frauen tanzt: der kubanische Einfluss war – und ist – überall präsent.

Im Laufe der 90er-Jahre begünstigten weitere Faktoren die Verbreitung der Salsa. So wurde die Gute-Laune-Musik immer häufiger im Radio gespielt, CDs waren nicht mehr nur in versteckten Spezialgeschäften zu erhalten und auch die Konzertveranstalter erkannten die Zeichen der Zeit. Als dann 1999 der Film Buena Vista Social Club Kinosäle zum Brodeln brachte und die dazugehörige CD die Hitparaden stürmte, erreichte das Salsa-Fieber seinen Höhepunkt. „Plötzlich wollten alle Salsa lernen, obwohl im Film gar keine Salsa, sondern Son gespielt und getanzt wird“, erinnert sich Clea Lüders, Tanzlehrerin bei Salsa Viva.

In der Tat ist die Geschichte der Salsa etwas Vermischtes: Laut Wörterbuch bedeutet Salsa „Soße oder ein Geschmack, der aus einer Mischung mehrerer Zutaten entsteht“. Genau das ist auch die Ende der 60er-Jahre in New York entstandene Musik. Emigrierte Kubaner und Latinos mischten karibische Rhythmen wie Mambo, Son, Chachacha, Rumba oder Cumbia. In der amerikanischen Vielvölkermetropole trafen sie auf Musiker, die afrikanische, europäische, indianische oder arabische Einflüsse beisteuerten. So entstand ein urbanes Musikphänomen, das von Anfang an zum Tanzen gemacht war. Wenn der packende Sound die Tanzfläche beschallt, „kann ich gleich ein Stückchen mehr Lebensfreude in den Gesichtern ablesen“, sagt Lüders.

Fragt man die TänzerInnen im Soda-Club, was ihnen an der Salsa gefällt, kommen immer wieder Antworten wie „sich hingeben“, „Urlaub vom Alltag“, „abschalten“, „sich ausprobieren“, „kreativ sein“oder „spielen und flirten“. Und es ist ein Tanz der wirklich berührt: Theresa, 29-jährige Brasilianerin, die erschöpft, aber stahlend von der Tanzfläche kommt, sagt: „ Dieser Tanz kommt von hier“ und kreuzt die kaffeebraunen Hände über ihrem Herzen.