Wir sind hier nicht in Seattle, Jan

Rebellion und Nettigkeit: Heute glänzen Sofaplanet mit postpubertärer Geschwätzigkeit und missionarischem Eifer

Haben Sie kleine Kinder? Sangen die am Anfang des Sommers etwa immer wieder verträumt vor sich hin: „Wir würden einfach Liebficken / Ficken für Vier / Du auf dem Rücken / Und ich über dir“? Dann kennen Sie Sofaplanet. Vom Cover ihres Albums sehen die drei von Sofaplanet aus wie der neueste Grunge-Nachwuchs aus Seattle. Geboren und aufgewachsen aber sind sie im Berliner Umland. Wie richtige große Rocker haben sie mit ihrem Hit „Liebficken“ einen kleinen Skandal losgetreten. Einige Rundfunkanstalten weigerten sich, das eigentlich ganz romantisch gemeinte Lied zu spielen. Unverständlich fand das die Band nicht zu Unrecht, schließlich würden Kinder garantiert „nicht nachhaltig in ihrer Entwicklung gestört“. Und schließlich sei der Song nicht mehr, so Trommler Jan Kertscher, als der „perfekte Schlager, den jeder Depp unter der Dusche mitsingen kann“. Und auf Platz 13 in den Charts einstieg.

Plötzlich fanden sich Sofaplanet eher unverdientermaßen wieder in einer Reihe mit erprobten Provokateuren wie Rammstein und den Ärzten. Dabei sind sie zwar musikalisch immerhin härter als Echt, aber lange nicht so lustig wie Die Ärzte und schon gleich gar nicht so komisch wie Rammstein. Dafür aber ausgestattet mit einem gesunden missionarischen Eifer. „Die Leute sollen etwas aus ihrem Leben machen“, rät Sänger Sven Rathke den minderjährigen Fans.

Der Rest ihres Debütalbums „Sternzahl unendlich“ ist geprägt von epischem Gitarrenrock mit Hang zum Tiefgang, voller Songs übers Verlassenwerden, was gut passt in die postpubertäre Verlorenheit der Zielgruppe. Die Texte sind bisweilen geschwätzig, also eine stilsichere Entsprechung zum Teenie-Geplapper einer Anhängerschar, deren Sandkasten-Held Colt Seavers hieß.

Verwundert, aber auch ein wenig stolz erzählt Kertscher von einer Anhängerin, der per E-Mail mitteilte, zu „Liebficken“ das erste Mal Sex mit ihrem Freund gehabt zu haben: „Dabei ist das Lied nur zwei Minuten und 54 Sekunden lang.“ Auch wenn nicht der typische Sofaplanet-Song, dann doch zumindest der ihre Karriere definierende bleibt der Smash-Hit „Liebficken“. Weil er die Balance zwischen jugendlicher Rebellion und unsicherer Nettigkeit nicht nur im Titel findet, sondern auch in Sätzen, die vor allem die Unentschlossenheit zwischen Willen zur Provokation und Sehnsucht nach Romantik ausdrücken: „Schon träum ich von der Penetration im Gras und deiner Hand in meinem Haar“.

Das setzt sich weiter fröhlich fort auf „Sternzahl unendlich“. Da heißt es einmal in einem seltenen Moment juveniler Weisheit: „Alles, was mir bleibt, ist noch sehr viel Zeit, Liebe zu schenken.“ Kurz darauf will Rathke dann doch lieber die Frau des Nachbarn schänden und in dessen Haus einziehen. Solche Posen stehen ihm nicht viel schlechter als die des Melancholikers von nebenan. Nur: Wie sie sein wollen, das liegt halt lange schon nicht mehr in den Händen von Sofaplanet. THOMAS WINKLER

16.9., 20.30 Uhr, ColumbiaFritz, Tempelhof