Stadt am Rande der Unsicherheit

Gewerkschaft der Polizei: Bei einer Militäraktion der Nato und drohender Terrorvergeltung könnten Gebäude und Personen nicht ausreichend geschützt werden. Innenverwaltung schätze Lage „falsch“ ein. Körting wirft GdP dagegen „Panikmache“ vor

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Bei einer Militäraktion der Nato und damit verbundenen erhöhten Sicherheitsanforderungen für Gebäude und Personen kann Berlin nach Ansicht der Gewerkschaft der Polizei (GdP) nicht ausreichend geschützt werden. Der Polizei, die schon den laufenden Objektschutz mangels 300 Stellen nicht ordnungsgemäß bewältigt, stehe bei der Vorsorge terroristischer Vergeltungsschläge in der Metropole vor einer nahezu ausweglosen Situation, sagte GdP-Chef Eberhard Schönberg gestern. Zugleich warf er Innensenator Ehrhart Körting (SPD) vor, die Sicherheitslage in der Stadt „völlig falsch“ einzuschätzen. Die Innenverwaltung wies dies als Panikmache gestern zurück.

Bei der Polizei herrscht nach den Terrorangriffen vom Dienstag der Ausnahmezustand. Zusätzlich 1.600 Polizisten sind in Alarmbereitschaft versetzt worden zum verstärkten Schutz von Botschaften, Bundesbauten und öffentlichen Einrichtungen. Unterstützt werden sie bislang von einer Hundertschaft, die das Land Brandenburg zur Verfügung gestellt hat.

Bei einer Nato-Militäraktion, sagte Schönberg, sei es „nahezu unmöglich, alle Gebäude von Wichtigkeit zu schützen“. Die Sicherung von Regierungsbauten, Eisenbahnen, Verkehrsknotenpunkten der U- und S-Bahn oder öffentlichen Einrichtungen erforderten ein Vielfaches an zusätzlichen Stellen. Schönberg: „Drei bis vier Tage wäre das durchzuhalten, dann fände eine normale Polizeiarbeit nicht mehr statt.“ Der GdP-Vorsitzende erinnerte daran, dass ein zusätzlicher Bedarf von 1.265 Stellen und ein Investitionbedarf von 250 Millionen Mark notwendig seien, um technisch und personell wieder gut ausgerüstet zu sein. Nach Gewerkschaftsangaben schieben die rund 17.500 Berliner Schutz- und Kriminalpolizisten bis zu 1,3 Millionen Überstunden vor sich her.

Auch Detlef Riefenstahl, GdP-Vize, sieht bei der Polizei den „Notstand“ ausbrechen, sollte die seit den Anschlägen verordnete verschärfte Bewachung länger andauern. Dann komme die Berliner Polizei nicht ohne Hilfe vom Bundesgrenzschutz (BGS) und Personal aus anderen Bundesländern aus. Riefenstahl forderte, dass etwa 3.000 BGS-Beamte in der Hauptstadt Dienst schieben müssten.

Zugleich gingen Riefenstahl und Schönberg mit Körting scharf ins Gericht, der „leichtfertig“ die Lage in der Hauptstadt als sicher eingeschätzt habe. Körting hätte statt dessen ein Schreiben von Polizeipräsident Hagen Saberschinky, das auf den maroden Zustand der Polzei hinweist, ernst nehmen sollen. Saberschinsky hatte in dem Dossier vom Juli darauf verwiesen, dass die Berliner Beamten seit dem Umzug der Regierung mit den zusätzlichen Aufgaben überfordert seien und der Bund darum Lasten übernehmen müsste.

Körting und Saberschinsky wiesen gestern Schönbergs Äußerungen als „verantwortungslos“ und „Panikmache“ zurück. Trotz der höchsten Sicherheitsstufe, die in Berlin nach den Anschlägen in den USA gelten, hätten die Beamten die Lage im Griff, erklärte Svenja Schröder-Lomp, Sprecherin im Hause Körting. Zudem sei die GdP-Kritik an fehlenden Mitteln überzogen, da zusätzliche Gelder in Millionenhöhe zur Kriminalitätsbekämpfung bis 2003 in Aussicht gestellt seien.

Saberschinsky warf der GdP „Unverantwortlichkeit“ vor, da sie den Eindruck vermitteln wolle, angesichts der „erforderlichen Raum- und Objektschutzmaßnahmen könne eine effektive und effiziente Polizeiarbeit“ auf Dauer nicht mehr möglich sein. Nach Meinung von Karsten Gräfe, Sprecher des Polizeipräsidenten, sei von einer „Notsituation“ im Polizeialltag keine Rede.