„Unter schlechtem Stern“

Das deutsche IOC-Mitglied Roland Baar sieht die Olympischen Winterspiele 2002 in Salt Lake City nicht von Anschlägen bedroht, fordert aber eine gründliche Überarbeitung des Sicherheitskonzepts

Interview FRANK KETTERER

taz: Herr Baar, für Mittwoch war, nur zwei Häuserblocks vom World Trade Center entfernt, eine Präsentation der Fackelträger geplant, die das Olympische Feuer quer durch die USA nach Utah tragen sollen. Überschattet der Terror vom Dienstag schon jetzt die Olympischen Winterspiele von Salt Lake City?

Roland Baar: Die Katastrophe von Dienstag wird sich natürlich auch auf Salt Lake City auswirken. Zumal Olympische Spiele, und das hat die Vergangenheit gezeigt, immer auch einen Reiz auf Terroristen ausgestrahlt haben, dort anzugreifen. Es besteht also durchaus ein großes Gefahrenpotenzial.

IOC-Präsident Jacques Rogge hat keinen Zweifel daran, dass die Spiele in Salt Lake City auf jeden Fall stattfinden werden. Ist das in Ihrem Sinne?

Natürlich. Was vorgefallen ist, wird uns alle noch sehr, sehr lange bewegen, vielleicht wird uns dieser Schock überhaupt nie mehr ganz verlassen. In Salt Lake City aber geht es um die Ausrichtung von Olympischen Spielen, auf die sich Sportler aus aller Welt bereits seit Monaten oder Jahren vorbereiten. Es ist jetzt unsere Aufgabe, die Spiele so sicher zu machen, dass sie auch angemessen stattfinden können. Terroranschläge wie den vom Dienstag wird man nie völlig ausschließen können, und vielleicht ist das Risiko in den USA ein bisschen höher als anderswo. Dennoch glaube ich, dass es Möglichkeiten gibt, die Sicherheitsstandards so hoch zu wählen, dass man die Ausrichtung von Olympischen Spielen vertreten kann.

Erinnert das Ganze nicht ein bisschen an das „The games must go on“ nach dem Attentat 1972 von München?

Nein, das kann man nicht in Zusammenhang bringen. Die Spiele haben, im Gegensatz zu damals, ja noch nicht einmal angefangen, sondern es sind noch ein paar Monate hin. In München gab es direkte Zusammenhänge, die es hier überhaupt nicht gibt. Bis Salt Lake City werden noch eine ganze Menge anderer, hochkarätiger Sportveranstaltungen stattfinden.

Mitt Romney, der Präsident des Organisationskomitees, hat den Spielen „eine heilende Kraft in einer unruhigen Welt“ bescheinigt und darauf verwiesen, dass Olympia schon immer „ein Symbol von Humanität und Weltfrieden“ gewesen sei. Eine verklärte Sicht der Dinge?

Nein, die Idee ist richtig, das hat nichts mit amerikanisch oder verklärt zu tun. Der Gedanke, der hinter Oympia steht, ist, dass es während der Spiele keine Kriegshandlungen gibt.

Terroristen werden sich davon kaum beeindrucken lassen.

Stimmt, darauf wurde auch in der Vergangenheit nicht immer Rücksicht genommen. Dennoch ist es eines der Ziele der Olympischen Bewegung, den Frieden in der Welt zu stabilisieren und zu verbreiten. Schon deswegen kann ich den Worten von Mitt Romney sehr gut folgen. Wir brauchen jetzt einen positiven Geist.

Die amerikanische Abfahrtsläuferin Joanna Mendes sieht Olympia als „hervorragendes Ziel für Terroristen, um die Aufmerksamkeit der Welt zu gewinnen“. Wie groß wird die Angst davor in Salt Lake City sein?

Riesig, das ist gar keine Frage. Ich habe mir auch sofort überlegt, was geschehen wäre, wenn die in Sydney während der Eröffnungsfeier ein Flugzeug ins Stadion hätten abstürzen lassen. Damit hätte man eine ungeheure Aufmerksamkeit gewonnen. Auf der anderen Seite: Was können wir denn sonst machen? Wir können uns jetzt doch nicht verstecken vor der Angst, die von Terroristen verbreitet wird. Sondern wir müssen versuchen, Maßnahmen zu ergreifen und Wege zu finden, damit umzugehen. Eine andere Chance haben wir nicht.

Wie kann die Angst zumindest eingedämmt werden?

Das Einzige was hilft ist, den Sicherheitsstandard, also die Kontrollen, zu erhöhen und zu verbessern.

Wie soll das funktionieren, wenn, wie bei Olympia, Tausende von Menschen in kürzester Zeit in eine Stadt strömen?

Die Sicherheitsvorkehrungen bei Olympischen Spielen waren schon in der Vergangenheit sehr hoch, das hat bereits an den Flughäfen angefangen. Ich jedenfalls habe mich da immer sehr kontrolliert gefühlt. Im Übrigen werden die generellen Veränderungen, die es bei der Flugaufsicht und der Flughafenkontrolle geben wird, ja geben muss, natürlich auch bei den Olympischen Spielen greifen.

Mike Leavitt, der Gouverneur des Bundesstaates Utah, hat bereits festgestellt, dass der Sicherheitsplan einer kompletten Neubewertung unterzogen werden muss. Reicht dazu, keine 150 Tage vor der Eröffnungsfeier, überhaupt noch die Zeit?

Sie muss reichen. Jedenfalls erwarte ich eine generelle Überarbeitung der Sicherheitskonzepte, die ja schon jetzt auf hohem Niveau stehen. Und ich gehe davon aus, dass die Sicherheit, die wir am Ende bekommen werden, auch ausreichend sein wird, jedenfalls im Rahmen des bei uns Darstellbaren.

Ein Problem dabei könnte sein, dass die Spiele rein privat finanziert werden. Glauben Sie wirklich, dass der auf rund 200 Millionen Dollar bezifferte Etat für Polizei und Sicherheitskräfte aufgestockt wird?

Davon bin ich überzeugt. Wobei das Organisationskomitee von Salt Lake City mit der Bekämpfung von Terrorismus mit Sicherheit überfordert ist. Da muss schon die amerikanische Regierung unterstützend eingreifen – und sie wird das auch tun.

Sonderlich unbeschwerte Spiele wird es in Salt Lake City aber wohl kaum geben.

Die Spiele stehen unter einem ganz, ganz schlechten Stern. Wir hatten den Skandal bei der Vergabe der Spiele – das haben die Menschen in Utah gerade gerettet. Und jetzt haben wir die Sorge und die Angst. Wir können nur daran arbeiten und darauf hoffen, dass es keine Zwischenfälle gibt. Und dass die Sportler durch ihre Ergebnisse und ihren Enthusiasmus den Spielen doch noch einen positiven Charakter geben.