DIE ISLAMISTISCHEN TERRORISTEN SIND UNS ALLZU VERTRAUT
: Unsere Zwillinge

Nur das öffentliche Gespräch kann die Lähmung überwinden: Der Terroranschlag vom 11. September wird in den Tiefenschichten unseres Bewusstseins ein weit größeres Trauma hinterlassen als alle anderen politischen Großereignisse seit 1945. Die Atombombe, objektiv die weltgeschichtlich größte technologisch-militärische Zäsur, verblasst demgegenüber, weil sie nur als Abschluss des Zweiten Weltkrieges wahrgenommen wurde.

Aber worüber sollen, wollen, müssen wir jetzt sprechen? Zum Beispiel darüber, dass wir mit dem zu unterstellenden islamistisch-ideologischem Fanatismus in den Spiegel der pathologischen Verblendungen unserer eigenen Kultur blicken. Wenn es richtig ist, dass den Überzeugungstätern das ewige Leben und der Nachruhm als Helden bei ihren Glaubensgenossen vor Augen gestanden hat, so genügt es, sich nachdenklich vor die Kriegerdenkmale des vergangenen Jahrhunderts zu stellen, die bis heute die prominenten Plätze fast aller deutscher Städte und Dörfer schmücken: „Süß und ehrenvoll ist es, fürs Vaterland zu sterben“ – warum nicht für den Islam im Kampf gegen das Reich des Bösen?

Es ist ein Akt intellektueller Redlichkeit, daran zu erinnern, dass sich die Außenpolitik aller Staaten, die der US-Regierung aber in besonderem Maße, pragmatisch-zynisch in den Machtkämpfen auf den vielen Schauplätzen der letzten Jahrzehnte bedenkenlos der „Gegner meiner Gegner als meine Verbündeten“ bedient hat. Und wie bei den islamistischen Terroristen wird dabei die Zerstörung ziviler Ziele als legitime militärische Strategie angesehen, um den Gegner in die Knie zu zwingen.

Die Geister, die eine derart zynische Außenpolitik rief (die noch dazu keine Skrupel bei fast jeder Art selbst gerechtfertigter Gewaltintervention hat), sind nun zu Monstern geworden, die wir selbst genährt haben – auch wir, unsere Regierung, als Nato-treuer Bündnispartner, die das natürlich alles immer wusste und gedeckt hat.

EKKEHART KRIPPENDORFF

Politologe und Autor des Buches „Kritik der Außenpolitik“ (Suhrkamp 2000)