Innen hohl

Bloß sich nicht lumpen lassen – Mannsbilder geben ein Spiel nicht vor der 90. Minute und eine Frau nicht vor dem Morgen verloren. Fußball der wohltätigen Art in Neukölln

Auch im Programm: Schweigeminute und kollektiv verordnetes Händchenhalten

Berlin-Neukölln, Hertzbergplatz: Hier kommt Berlin zu sich selbst. Die Kneipen heißen „Taxi-Eck“ und „Pferdekopp“, der Busfahrer auf der Linie 241 könnte Paul Kuhn sein, die Kebap-Spieße ächzen unter der noch prallen Last, das Dosenbier läuft hier und dort schon wieder reichlich an diesem Sonntagvormittag. Neue Mitte und Ariane Sommer? Nie gehört. Einzig die Spitze des Estrel-Hotels, die über den niedrigen Gebäuden des Hertzberg-Stadions auszumachen ist, zeugt vom fernen Glanz des Metropolenhaftigen. Und natürlich die große Fußballwelt, die heute hier zu Gast ist – trotz allem.

Zum 17. Mal, und immer für einen wohltätigen Zweck, tragen Profis im Ruhestand, Golfplatzbesitzer und Backfabrikanten, Bürgermeisterkandidaten und Exbürgermeister ihre Plauzen und Platten nun schon über den Platz, auf dass die Neuköllner eifrig Eintritt zahlen sowie Bier, Bratwurst und Schnäpse zu zwofuffzig ordern. So kommt dann für die Uwe-Seeler-Stiftung (auch der Ehrenspielführer gab sich gestern dieselbige) immer ordentlich was zusammen.

Zumal sich die Prominenz am Tag zuvor bei Golfturnier und Tombola ebenso wenig lumpen ließ, wie anschließend an der Hotelbar, zwinkern Mitveranstalter Axel Lange („Bis um drei wurde gefeiert, und da wurden schon einige Caipis weggekippt“) und Moderator Helmut Müller („Ich trinke auf das Wohl von Monika und Eberhard“).

Ja, schön blöd jetzt allerdings, dass die Verbindung von Golfspielen, Tombolas veranstalten, Promifußball organisieren und ordentlich auf die Pauke hauen seit Dienstag auch noch einer moralischen Rechtfertigung bedarf. Beziehungsweise, dann doch nicht. Das Geld – 100.000 Märker werden laut Lange wohl schon zusammengekommen sein – bekommt kurzerhand eben nicht Uwe Seeler, sondern „der Kanzler, der wird das dann weiterleiten an die Terroropfer“.

Auch im Programm: Schweigeminute samt den Bundesligisten kollektiv verordnetes Händchenhalten im Mittelkreis vor dem Anpfiff. Damit war’s dann aber auch erst mal gut, so dass Kommentator und Gutelauneonkel Helmut Müller zu Altherrenwitz und Zotenklopfen übergehen konnte und nicht mehr davon abließ, sich bei „unserem Eberhard“ für dessen Erscheinen zu bedanken. Nebenbei bedauerte er, dass zu den Schlesiertreffen immer weniger seiner Landsleute kämen. Dem ehemaligen Hertha-Profi und jetzigen Sportbarbetreiber Axel Kruse bescheinigte Müller, beim erfolgreichen Torschuss „förmlich explodiert“ zu sein. Und Michael Rummenigges Versuch, es Kruse gleichzutun, attestierte er die „Gewalt von Kanonenschlägen“. Ja, soviel Humor ist selten in Neukölln, schließlich standen hier – wusste Müller – nur gestandene Mannsbilder auf dem Platz, „die das Spiel nicht vor der 90. Minute und eine Frau nicht vor dem Morgen verloren geben“. Ohnehin warteten in der Kabine schon adrette Pflegerinnen.

So redete sich der gedrungene, grauhaarige Herr – nein, nicht um Kopf und Kragen, sondern in eine verbale Dauerdiarrhöe, die auch nach dem Spiel kaum nachzulassen drohte. „Ein großer Tag für den Sport, Berlin hat Flagge gezeigt“, konstatierte ergo der Mann, der sonst beim Norddeutschen Rundfunk seine Brötchen verdient. Bloß schade, dass der Kanzler dann doch nicht selber kam, wie eigentlich vorgesehen. Na ja, hatte vielleicht doch Besseres zu tun. Und die Berliner Flagge zeigen, dass können Diepgen, Steffel und Strieder halt doch besser.

Nach den 90 Minuten strahlte dann endlich auch die Sonne über Neukölln und auf die Dosenbiertrinker am Hertzbergplatz. Die Kebap-Spieße waren bereits ein wenig dünner geworden, Paul Kuhn hatte wohl schon Feierabend, der Fahrer des Busses Richtung Hermannplatz jedenfalls trug Intellektuellenbrille. Auf ein Steffel-Plakat hatte wer „Faschist“ gesprüht. Und auf dem geschlossenen Metallgitter eines Ladens an der Sonnenalle stand zu lesen: „Die Erde ist ein Lebewesen, sie ist innen hohl“. Fußbälle auch. HOLGER STRÖBEL