Monothematik auf allen Kanälen

Wenige radikale Linke in der Szene reagieren auf den Terroranschlag begeistert. Die meisten fürchten eher, was jetzt kommen kann: Rassismus und Krieg

von SUSANNE MESSMER

Ich treffe H. mit ihrer Freundin zufällig auf dem Alexanderplatz, denke, die gibt es also auch noch, sage „Na?“, sie sagt „Hallo“ und fragt mich, ob ich wisse, wo mehr los sei als hier, wegen Amerika, eine Demo vielleicht. Ich sage, „vor der amerikanischen Botschaft bestimmt“, sie schüttelt mit dem Kopf und wir verabschieden uns. Ich habe H. lange nicht mehr gesehen, früher war sie fast eine Autonome, wohnte in einer Kommune in einem Friedrichshainer Plattenbau und bewegte sich nur in linksradikalen Netzwerken. Heute macht sie Karriere an der Uni, wohnt aber immer noch in Friedrichshain und ist Gitarristin in einer Mädchenpunkband.

Am nächsten Tag rufe ich sie an. Ich will ihr Fragen stellen, die mir nicht gleich eingefallen sind. Sie erzählt, dass viele Leute, die sie kennt, total begeistert auf den Terroranschlag reagiert haben, Antiamerikanismus und so. „Das schockiert mich“, sage ich, sie sagt „ja, echt scheiße“. Insgesamt seien deshalb jetzt alle verwirrt. Es sei nichts los. Sie vermutet, dass es später eher Aktionen gegen das geben wird, was jetzt erst losgeht: zunehmender Rassismus, Restriktionen im öffentlichen Leben, die Aggression Amerikas. Sie ruft mich an, sobald sie was hört. Begeisterung unter den radikalen Linken? Diffuse, leicht dümmliche Schadenfreude war mir bis dahin schon ab und zu über den Weg gelaufen – aber so richtige, offene Begeisterung? Mit theoretischem, antiimperialistischem Überbau womöglich?

Ich rufe sie nochmal an und frage sie, ob sie mich einfach mal irgendwohin mitnimmt, damit ich ein paar Leute befragen kann. Sofort lädt sie mich ein, sie in einem Theaterstück in einem ehemaligen besetzten Haus zu treffen. Ich bedanke mich, lege auf und kriege Angst. Mein Verhältnis zu Autonomen ist nicht eben einfach. Ihnen gegenüber fühle ich mich wie Hausfrau. Also frage ich meine Freundin C., ob sie mitkommt. Die lacht mich erst mal aus. „Das bildest du dir ein“, sagt sie. Dann lässt sie sich aber doch überreden und kommt mit.

Als wir mit den Rädern in die Rigaer Straße einbiegen, sind da richtig tolle Kneipen, die so aussehen wie früher und nicht nach Brunch und viel zu teurem Bier. Leute mit Rastas kommen uns entgegen, viele Häuser sind hässlich saniert, manche aber immer noch bunter. Wir halten vor der Nummer 83, dem „Fischladen“, und sind ratlos. Wir sind zu spät, die Tür ist zu, auf einem Zettel steht: „Bin Laden, wir haben dicht. Geh doch in die Kaderschmiede.“ Was soll das bedeuten? Ich will nach Haus, plötzlich geht die Tür auf, wir zögern kurz, dann aber Augen zu und durch.

Wir gehen durch einen Raum voller Müll, durch einen schwarz verhängten, langen Flur, durch noch eine Gerümpelkammer und plötzlich ist da eine Bar und das RAF-Emblem mit dem Stern und der Waffe. Hinter der Bar sitzt H., was ein Glück. Wir kaufen zwei Bier für drei Mark, setzen uns zu ihr und den anderen, die uns freundlich begrüßen. Sie hat ihnen von meinem Auftrag erzählt, denke ich. H. sagt, sie habe eine Freundin, die sofort eine Flasche Sekt aufmachen wollte, als es passierte. Sie selbst habe sich zwar nicht unbedingt gefreut, war aber auch kein bisschen berührt, als die Flugzeuge ins World Trade Center rasten. Und sie bemängelt: „Es nervt, auf allen Kanälen, in allen Zeitungen diese Monothematik.“

Sie stellt mir einen Jungen vor mit großen Augen und einer roten Spange im Haar, der aussieht wie Benjamin oder Tillmann. Er heißt Hartmut. Hartmut freut sich auch nicht über den Terroranschlag. Aber auch ihn nervt die ganze Medienaufmerksamkeit oder, besser gesagt, die viele Medienaufmerksamkeit im Verhältnis zur fehlenden Aufmerksamkeit gegenüber der Armut des größten Teils der Welt oder anderen Konflikten auf der Erde. „Wie viele Amerikaner wissen überhaupt, dass noch immer amerikanische Bomben auf den Irak fallen“, fragt er sich. Er kann die Rede vom Angriff auf die zivilisierte Welt nicht mehr hören, den selbstgerechten Habitus des George W. Bush, die Abschaffung des Religionsprivilegs durch Schily, die zunehmende Überwachung und dass in Zukunft alles über den Kamm geschoren sein wird, was muslimisch ist. „Natürlich waren die Leute im World Trade Center nicht unschuldig, genauso wenig wie wir, die wir auf Kosten anderer leben“, sagt er. „Und natürlich betrifft uns ein Hungernder in Afrika nicht so, weil die Wahrscheinlichkeit, dass wir mal hungern, viel kleiner ist, als einmal in einem Büro im World Trade Center zu sitzen.“

Es sind bekannte Bausteine, die er aufeinander setzt, etwas blöde, aber immerhin nicht so blöde wie die vom imperialistichen Feind, der auch mal eins aufs Dach kriegt. Später erzähle ich ihm, wie wohl ich mich in New York gefühlt habe, auch deshalb, weil es mir irgendwie so vorkam, dass keine Ideologie bloße Ideologie und irgendwie auch was dran ist am amerikanischen Traum. „Nein“, sagt er, „das sehe ich nicht so.“ Auch wenn er die Welt mit dieser Haltung, sagt er, nicht verändern wird: Er will nichts leisten und so wenig wie möglich konsumieren. Alles, was er braucht, hat er schon, sagt er, und hat er mal mehr, als er braucht, verschenkt er alles.