innere sicherheit: Um wessen Angst geht es?
Berlin steht am Scheideweg
Sprache kann verdächtig sein. „Nachbar Terrorist“ heißt ein Bericht eines Berliner AP-Korrespondenten über die „Aufrüstung“ Deutschlands im „Kampf gegen den religiös motivierten Terrorismus“. Der Bericht beginnt mit den Worten: „Sie leben wie normale Bürger, sind freundlich, ruhig und gehen ihrer Religion nach – eben ganz gewöhnliche Mitbürger. Doch wenn der Befehl kommt, zeigen sie ihr wahres Gesicht und werden zu gefährlichen Attentätern, die bereit sind, tausende von Menschen zu töten.“
Sprache kann verdächtig machen. In Niedersachsen soll eine Palästinenserin abgeschoben werden, wegen „öffentlicher Billigung einer schweren Straftat“. Eine entsprechende Anzeige hat das niedersächsische Innenministerium gestellt. Gegenüber dem NDR hatte die Frau gesagt, sie freue sich über die Ereignisse in New York. Für die USA sei dies ein kleines Problem, während in ihrer Heimat viele Menschen stürben, um die sich niemand kümmere.
Zwei Beispiele, zwei Seiten einer Mobilmachung, die mit der Sprache beginnt. Wo wird sie enden?
Seit den Terroranschlägen von New York und Washington wächst die Angst. Auch in Berlin. Es ist die Angst vor neuen Anschlägen, diesmal auch in Europa, es ist die Angst vor einer Eskalation, deren Ende keiner voraussehen kann. „Der erste Krieg im 21. Jahrhundert“ ist auch eine Metapher für die Rückkehr der Unsicherheit in den Städten. Doch um wessen Angst geht es?
Da sind die Schüler. Seit Tagen demonstrieren sie schon, die einen vor ihren Schulen, die anderen vorm Brandenburger Tor oder der amerikanischen Botschaft. Sie haben ihre ersten politischen Erfahrungen lange nach der Nachrüstungsdebatte, nach dem Ende des Kalten Krieges gemacht. Nun haben sie Angst vor einem Dritten Weltkrieg. Diese Angst teilen viele.
Doch wer hilft den Jugendlichen in ihrer Angst? Und was kann ihnen helfen? Der „Bündnisfall“, den die Nato, allen voran die Bundesregierung, beschlossen hat? Wer ist in diesen Tagen noch der Garant für eine Politik der Deeskalation?
Die letzte Frage stellen sich auch viele Moslems in Berlin. Einige von ihnen wurden bereits angepöbelt, islamische Organisationen bekommen Drohbriefe. „Was habe ich denn mit Terrorismus zu tun?“, fragt ein ägyptischer Berliner. „Wir sind ein Teil dieser Gesellschaft. Jetzt gelten wir plötzlich als Unzivilisierte und zählen zu den Barbaren.“ Wer kümmert sich um ihre Ängste? Ist nicht ein Brandanschlag auf eine muslimische Einrichtung wahrscheinlicher als ein Selbstmordattentat am Ku’damm?
Schaut man auf die Berliner Politik dieser Tage, so bekommt man nicht unbedingt den Eindruck, sie liefere Antworten auf diese Fragen. Da zweifelt die Gewerkschaft der Polizei, dass die Sicherheitslage der deutschen Hauptstadt nicht mehr lange aufrechtzuhalten sei, und fordert 1.265 zusätzliche Stellen. Der Innensenator und der Polizeipräsident wiederum weisen dies als „verantwortungslos“ und „Panikmache“ zurück. Trotz der höchsten Sicherheitsstufe hätten die Beamten die Lage jederzeit im Griff.
Doch von welcher Lage ist die Rede, die man je nach politischer Interessenlage im Griff hat oder nicht?
Für den Fall einer deutschen Beteiligung an einem Vergeltungskrieg der USA, so zitiert Die Welt Geheimdienstkreise, kämen in Berlin „Regierungsgebäude, symbolträchtige Bauwerke, stark belebte Plätze oder große Kaufhäuser“ als Ziele möglicher Anschläge in Betracht. Gegen einen solchen Terror freilich ist auch der beste Objektschutz bestenfalls von symbolischer Bedeutung. Das Beispiel Israel belegt es seit Monaten.
Gleichwohl ist der Sicherheitsbegriff, der der Politik zugrunde liegt, der von Geheimdiensten und Militärs. Stärkere Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen, an amerikanischen, israelischen und palästinensischen Einrichtungen sind eingeleitet. Der Rest – die Einschränkung bürgerlicher Freiheiten – wird folgen, auch in Berlin, wo sich der Innensenator noch nicht der verbalen Aufrüstung der Schily, Beckstein und Co. angeschlossen hat.
Was aber wäre eine politische Antwort? Welcher Sicherheitsbegriff wäre vonnöten, dem nicht die Aufrüstung, sondern die Deeskalation zugrunde liegt?
In den vergangenen Tagen war viel von Samuel Huntingtons „Clash of Civilizations“ die Rede, vom Kampf der Kulturen, dem des Islam gegen die freie, westliche Welt. Einige besonnene Kenner der Szene betonen demgegenüber die Notwendigkeit eines „Dialogs der Kulturen“. Statt auf Kampf setzen sie auf Gespräch, statt auf Gewalt und Gegengewalt auf Ausgleich, auf Politik statt Krieg.
Doch diese Stimmen sind auch in Berlin viel zu schwach. Zwar müht sich der Schulsenator – wohl wissend, dass dieser „Kampf der Kulturen“ als erstes in den Schulen ausgetragen werden könnte – um Toleranz und Differenzierung. Doch schon der SPD-Innenexperte Hans Georg Lorenz, schlägt andere Töne an. „Die Lage in Berlin ist besonders gefährlich“, sagt Lorenz und verweist auf den „steigenden Ausländerextremismus“ in der Hauptstadt. Das ist eine gefährliche Verkettung von Ursache und Wirkung, die eher zur Zunahme von Ressentiments führt, als dass sie eine Aussage zur „Sicherheitslage“ in Berlin träfe. Oder sind die Attentäter von New York etwa aus den Reihen der dortigen Ausländer-Communities rekrutiert worden?
Auch Berlin steht nun, nach dem 11. September, am Scheideweg: Stimmt man ein in eine allgemeine Mobilmachung im Kampf gegen den „Nachbarn Terrorist“? Oder mobilisiert man die Reste der Zivilgesellschaft, nicht im Namen der „Kriegserklärung gegen die zivilisierte Welt“ (Gerhard Schröder), sondern im Namen der Bürgerrechte, wie es einer Einwanderungsstadt ansteht. Toleranz und Respekt, so steht zu hoffen, schaffen am Ende ein mehr an Sicherheit als Argwohn und Paranoia. Mit der Sprache sollte man beginnen.
UWE RADA
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