Keine Farbbeutel für Joschka

Ruhig, treu und fest zur Nato: Der Kurs von Außenminister Joschka Fischer findet bei den Grünen immer weniger Kritiker. Ist das die Ruhe vor dem Sturm?

Grüne und Nato: „Wir kotzen, aber wir können nicht anders“„Viele in der Partei haben noch gar nicht begriffen, was auf sie zukommt“

von JENS KÖNIG

Am Eingang der grünen Parteizentrale in Berlin liegt ein Kondolenzbuch für die Toten der Terroranschläge von Amerika. Es enthält bis jetzt ganze drei Beileidsschreiben. „Wir fühlen mit den Angehörigen der Opfer und beten, dass die Mächtigen trotz des Leids und des Schreckens einen kühlen Kopf bewahren“, schreibt Familie B.

Bei den Grünen muss sich Familie B. keine Sorgen machen. Die Partei bewahrt einen kühlen Kopf. Ihr Kopf ist sogar so kühl, dass sich mancher schon fragt, ob der Satz, seit dem Angriff auf Amerika sei nichts mehr so, wie es einmal war, ganz besonders auf die kleine grüne Partei in Deutschland zutrifft.

Kein innerparteilicher Aufschrei, kein Wehklagen über schwere Gewissensnöte, kein Schüren von Angst vor einem Krieg – die Grünen sind diszipliniert, ja, fast schon still. Und nicht nur das. Sie stehen sogar fest zum Bündnis – keine antiamerikanischen Ressentiments, keine Vorwürfe an den US-Präsidenten, kein böses Wort über die Nato. Das sah selbst zu Zeiten des Kosovokrieges anders aus. Von der Zeit, als die Grünen noch Teil der Friedensbewegung waren, Angst vor einem Atomkrieg hatten und die Nato abschaffen wollten, ganz zu schweigen.

Der außenpolitische Ausnahmezustand seit dem 11. September beginnt natürlich auch die Grünen zu verändern. Sie bemühen sich nach Kräften, den schnellen Analysen ihres großen Lehrmeisters Joschka Fischer zu folgen. Der Außenminister, durch und durch Instinktpolitiker, spricht von einer weltgeschichtlichen Zäsur. Er beschwört, Deutschland, Europa insgesamt, müsse im Schnelldurchgang erwachsen werden. Wenn sich die Welt grundlegend verändere, dann hätten die Grünen als Regierungspartei nur eine Überlebenschance, glaubt Fischer, wenn sie diese Entwicklung mitgestalten.

Die Parteiführung folgt Fischer und organisiert von oben die Unterstützung für den Kurs ihres Außenministers. Gleich nachdem die Bundesregierung der Verhängung des Nato-Bündnisfalles zugestimmt hatte, stellte sich der grüne Parteirat hinter diese Entscheidung. Schneller als allen anderen Parteien hatten die Grünen am Donnerstag also einen Beschluss ihres wichtigsten Gremiums organisiert. Noch am gleichen Tag billigte die Bundestagsfraktion in einer Sondersitzung den Parteiratsbeschluss. Am Freitag dann wurden in Berlin die Landesverbände auf diesen Kurs eingeschworen. Am Wochenende tourten viele grüne Spitzenpolitiker durch die Kreisverbände, um auch die Basis für die ungewohnte Solidarität mit der Nato zu gewinnen.

Das Ergebnis dieser straffen Regie ist für grüne Verhältnisse ungewöhnlich: Keine einzige Gegenstimme im Parteirat, mit den Abgeordneten Christian Ströbele, Annelie Buntenbach und Winfried Hermann nur noch drei Verweigerer in der Bundestagsfraktion, mit dem Brandenburger Landeschef Roland Vogt nur einen Kritiker unter den Vorsitzenden der Landesverbände. Linke Abgeordnete wie Christian Simmert oder Steffi Lemke, die in sicherheitspolitischen Fragen stets zur kritischen Minderheit in der Fraktion gehörten, linke Landespolitiker wie Antje Radcke (Hamburg), Bärbel Höhn und Fritjof Schmidt (beide NRW) – sie alle sind diesmal auf Linie.

Das liegt wohl zuallererst an dem Beschluss des Parteirats selbst. Viele bezeichnen ihn als eine „semantische Meisterleistung“. Er ist so formuliert, dass sich fast alle darin wiederfinden können, der Außenminister ebenso wie Kriegsgegner. Von der Wut über die Terroranschläge ist dort die Rede, aber auch von der Sorge über einen nicht angemessenen Gegenschlag der Amerikaner. Die Grünen unterstreichen das legitime Recht der USA zur Selbstverteidigung, sagen aber auch, dass das Völkerrecht Rache nicht abdecke. Die Grünen fordern, dass die Terroristen und deren Helfer zur Rechenschaft gezogen werden, unterstreichen aber gleichzeitig, dass bei der Bestrafung der Täter rechtsstaatliche Prinzipien nicht verletzt werden dürfen.

Und der entscheidende Satz der Erklärung, der die Solidarität der Grünen mit der Nato ausdrücken soll, ist auch noch ex negativo formuliert: „Angesichts der terroristischen Angriffe . . . können wir der Inanspruchnahme des Bündnisfalles nicht widersprechen.“ Eine Zeile weiter dann schon wieder die Beruhigung: Die Annahme des Bündnisfalles bedeute noch keine Entscheidung für die Teilnahme an Militäraktionen der USA.

Manche Realos in der Bundestagsfraktion wollten diese Erklärung schärfer formulieren, so dass die Unterstützung der Amerikaner deutlicher wird. Aus Rücksicht auf den innergrünen Frieden verzichteten sie aber darauf. An ihrem Urteil ändert diese Zurückhaltung jedoch nichts. Der Parteiratsbeschluss klinge nach „Wir kotzen, aber wir können nicht anders“, sagt einer von ihnen.

Annelie Buntenbach bezeichnet das Papier als eine „Illusion“, aber aus einem ganz anderem Grund. „Wir machen uns etwas vor, wenn wir glauben, die Grünen hätten damit noch nicht ihre Unterstützung für militärische Aktionen erklärt“, so Buntenbach. „Ab jetzt tragen auch wir Verantwortung dafür.“ Die linke Bundestagsabgeordnete befürchtet ebenso wie Ströbele und Hermann eine überzogene Reaktion der USA. Das führe zu einer Eskalation der Gewalt, an deren Ende nicht weniger, sondern mehr Terror stehen könnte, glaubt Buntenbach.

Regelrecht abgebürstet wurden die drei Kritiker in der Bundestagsfraktion ausgerechnet von Umweltminister Jürgen Trittin, Joschka Fischers altem Rivalen, der sich während des Kosovokrieges noch auffällig zurückgehalten hatte. Es sei zu einfach zu sagen, Krieg möchten wir nicht, Angriffe auf die Zuvilbevölkerung möchten wir auch nicht, und wenn man darauf reagieren muss, dann halten wir uns raus, sagte Trittin lautstark. Auch Christian Simmert, der gegen den Kosovokrieg und den Mazedonien-Einsatz der Bundeswehr gestimmt hat, versteht die Verweigerer diesmal nicht. „Ich habe mit meiner Zustimmung keinen Blanko-Scheck für Nato-Einsätze unterschrieben“, sagt Simmert. Er wisse, dass man mit Militärschlägen nicht weiterkomme. Aber wenn die Grünen den Nato-Bündnisfall nicht akzeptierten, hätten sie keine Chance mehr zur politischen Einflussnahme.

Buntenbach hält dagegen. Der Einfluss der Bundesregierung auf die USA sei gleich null, sagt sie. „Viele in der Partei haben noch nicht begriffen, was hier auf uns zukommt.“ Renate Künast räumt ein, dass sie als grüne Ministerin in diesem Ausnahmefall nicht viel zu sagen hat. „Aber das schreckt mich nicht“, behauptet sie. Jeder müsse seinen Einfluss nutzen, und sei er noch so gering. Die Grünen hätten die einmalige Chance, bei der grundsätzlichen Neuausrichtung der internationalen Sicherheitspolitik mitzuwirken.

Die Grünen befinden sich dennoch in einem Dilemma. „Wir sind nicht mehr die Stimme der Angst in der Bevölkerung“, sagt Trittin, „wir sind der Überbringer der schlechten Botschaft.“ Was passiert also, wenn die Bundeswehr Soldaten direkt in den Kampf gegen den Terrorismus schickt? Was, wenn die USA ihre Ankündigung von einem weltweiten Feldzug wahrmachen? Darüber reden die grünen Spitzenpolitiker in diesen Tagen gar nicht gern. Sie wissen, was das für ihre Partei und die rot-grüne Regierung bedeutet: die Zerreißprobe.

Der Parteivorsitzende Fritz Kuhn versucht sich schon mal an einem schmerzhaften Spagat. „Wir müssen die Ängste der Menschen ernst nehmen. Es darf keine ziellose Eskalation geben“, sagt er. „Aber wir dürfen uns auch nicht gegen die Amerikaner stellen.“ Wie das im Ernstfall gehen soll, weiß der grüne Parteichef wohl selbst nicht so genau.

Der Beschluss des Parteirats im Wortlaut unter www.gruene.de