„Silke, du musst lauter kotzen“

■ Die Jugendtheatergruppe B.E.S.T. inszeniert ihr neues Stück „Irrwege erhöhen die Ortskenntnis“ als Suche nach Persönlichkeit

Das Schulzentrum Im Holter Feld ist ein ehemaliges. Hier krümeln keine Schüler mehr mit Pausenbroten, kratzen keine kreidigen Lehrerhände mathematische Formeln an die Tafel. Die Schule ist wie ausgestorben.

Bis auf das Werkstattgebäude: eine große Lagerhalle, in deren Mitte ein Maschendrahtzaun um eine Formation von fünfzehn ausrangierten Kühlschränken gespannt ist. Darin üben Johnny und Nele Kampfszenen, Judith fegt den Boden, im Nebenraum feilen ein paar Mädels an ihrer Garderobe Marke Altkleidersammlung. Es ist ziemlich kalt.

Mitten im scheinbaren Chaos steht Karl-Heinz Wenzel, die Arme verschränkt. Wenzel leitet zusammen mit Jochen Schmidtmeyer seit elf Jahren die Theatergruppe B.E.S.T. (Bremens Erstes Schulübergreifendes Theater) und macht jedes Jahr mit einer neuen, bunt zusammengewürfelten Gruppe Theater. Diesmal sind es Schüler, Studenten, Zivis – einfach fünfzehn junge Menschen, die Lust hatten, zu spielen. „Irrwege erhöhen die Ortskenntnis“ heißt ihr Werk, das heute Premiere feiert.

Kein Stück mit Anfang, Höhepunkt, Schluss, sondern eher ein Experiment. So als ob jeder auf der Bühne sich selbst, seine eigene Persönlichkeit sucht. „Wir haben angefangen, aus unseren Biografien und Wünschen, wie wir gerne sein würden, Szenen zu entwickeln“, erzählt Elena. „Im Stück tanze ich sogar Tango vor allen. Normalerweise bin ich eher zurückhaltend.“

Minna ist 17, hat zwei geflochtene Zöpfe und erzählt von Maike, die es eigentlich hasst, zu singen. „Als sie das gesagt hat, war klar, dass sie im Stück singen wird.“ Die Gruppe arbeitet seit Ende letzten Jahres zusammen. Die Proben wurden sehr persönlich. „Es kostet ganz schön Überwindung, so zu sein, wie man sonst nie sein würde“, gibt Elena zu.

Jetzt stehen alle in der Halle und polstern ihre Kühlschränke. Minna stellt fest, dass die Abschminkcreme halb hinüber ist, Schokoküsse machen die Runde, Kaffeduft.

Karl-Heinz Wenzel kritisiert die letzte Probe: „Marc, deine Taschenlampe ist zu schwach. Johnny, du hast die Maske zu lange auf. Judith, du musst mehr Geräusche machen. Silke, wenn du im Kühlschrank sitzt musst du lauter kotzen.“

Minna ändert nochmal ihr Outfit – das alte ist zu blau – und dann werden einzelne Szenen durchgeprobt. „Es ist so furchtbar: Ganz am Anfang müssen wir zehn Minuten in diesen Kühlschränken sitzen“, sagt Elena. Die Hutszene wird zigmal wiederholt, bis David zackig genug „Eso“ sagt und den Hut in die Mitte schleudert. Danach kommt Elena mit ihrer Tango-Einlage.Die ganze Zeit Action auf der Bühne, alle fünzehn Schauspieler sind immer präsent.

Da hat es der Zuschauer schwer, die Bewegungen aller zu verfolgen. Aber das macht nichts, so wird es jedenfalls nie langweilig. Schnell gewinnt man einen Eindruck von, dem, was die Gruppe, was die einzelnen Schauspielr ausmacht: Imke kämpft mit ihrer Körpergröße, versucht sich mit Stelzen größer zu machen. Melike übt verkrampft Balettschritte. „Es muss perfekt sein, es muss perfekt sein.“ Sie halten dabei aber nicht nur sich selbst, sondern auch der Gesellschaft einen großen Spiegel vor.

Die Aufführung in der Werkstatthalle wird einzigartig bleiben. Das Schulzentrum soll an den Mercedes-Konzern übergeben werden, die die Halle wahrscheinlich abreißt. „Nach uns kommt oft der Abriss“, so Karl-Heinz Wenzel. „Das war auch schon damals so, als wir bei den Lloyd Dynamo Werken gespielt haben.“ spo

B.E.S.T. spielt „Irrwege erhöhen die Ortskenntnis“ vom 18. bis 22. und 24. Bis 28. September täglich um 21 Uhr im Schulzentrum im Holter Feld.