Liebe und Krieg

■ In ihrem Roman „Mitten im Film“ sucht die Bremer Autorin und Filmemacherin Liz Wieskerstrauch nach Schnittstellen von Wahrheit und Fake

Ihr Romandebüt von 1986 hieß „Spurensuche“. Es handelt vom Ringen einer Gruppe Jugendlicher um Identität – in der Zeit des Deutschen Herbstes. In „In den Mohnfeldern“ (1993) versucht eine Nachgeborene die Geschichte der eigenen, nicht gerade widerständigen schlesischen Adelsfamilie klarzukriegen. Immer wieder sucht die Autorin und Fernsehproduzentin Liz Wieskerstrauch jene Orte auf, wo Geschichte und vor allem individuelle Biografien brüchig werden. Davon zeugt nicht zuletzt ihr Fernseh-Feature „Die Seele brennt – Annäherung an eine multiple Persönlichkeit“, das Wieskerstrauch im vergangenen Jahr für die ARD produzierte.

Keins der genannten Themen wirkt auf den ersten Blick sonderlich originell. Literarisch, vor allem aber, was das Fernsehen betrifft, wollen Märkte bedient sein. Bei der Themenfindung bleibt da für Originalität nicht viel Platz.

Was am neusten Roman „Mitten im Film“ der 1955 in Nürnberg geborenen Wieskerstrauch ins Auge springt könnte man vielleicht populäre Abgeklärtheit nennen. Beirut, Sarajevo, Castor. Die Orte und Ereignisse wirken, obwohl noch nicht lange her und alles andere als vergangen, gleichwohl überholt: Ein Fakt, der zunächst einmal für die faszinierende Integrationsleistung des Systems der Medien spricht, ein System, das wie ein Schwamm alles aufsaugt. Kritik, Affirmation, Themen jeder Art, ganz egal!

Also: Nicht warum Liz Wieskerstrauch ein Buch über Jugoslawien, über Berichterstattung und die Menschen dahinter schreibt, ist die entscheidende Frage, sondern wie.

„Meine Themen entstehen langsam, in kleinen Schritten“, sagt sie. „Mit der Dauer hat wohl auch die Materialsfülle zu tun, mit der ,Mitten im Film' daherkommt.“ Knapp dreihundert Seiten lang erzählt Wieskerstrauch eine Liebes-Dreiecksgeschichte. Doch damit allein wäre „Mitten im Film“ unzureichend beschrieben. Im Mittelpunkt steht der Kameramann Christopher, der mal im Nahen Osten oder auf dem Balkan Material sammelt, mal ganz schnöde die Studiokamera für eine Talkshow bedient. Die Bilder, die er (mit)produziert sind für ihn, das ist schnell klar, leer .

Es habe sie interessiert, sagt Wieskerstrauch, Erfahrungen literarisch umzusetzen, die sie aus der alltäglichen Arbeit kennt. Von KollegInnen und von sich selbst. Die Kamera als Filter, als Mittel, sich genau das vom Leib zu halten, was man zeigen will oder soll. „Und ich wollte eine männliche Perspektive ausprobieren.“ Die Figur der Journalistin Maike, die wir gleich zu Beginn kennen lernen, sei eine „Hilfskonstruktion“. Sie brauchte jemand, der Christopher von außen betrachtet. Denn natürlich erzählen sich die Dinge nie „von selbst“. Es braucht die Recherche, das Jagen nach und Sammeln von Impressionen, die man dann zu Film oder Text zusammenmontiert.

Durch die Wahl der männlichen Perspektive sei sie etwas freier gewesen, sagt Wieskerstrauch, so wären Nuancen möglich gewesen, ein Augenzwinkern hier und da, was sonst nicht ihr Fall sei. In der Tat kommt das Intro ein wenig als satirischer Holzschnitt daher. Maike posiert für Christopher, bittet ihn, den Liebesakt zu Filmen, was den ach so professionellen Kameramann in arge Bedrängnis bringt. Den „brachialen Einstieg – Sexualität gegen Krieg“ lerne man beim Filmen, weiß die Autorin. Die Produktionsbedingungen seien beim Film andere als beim Texten. Weniger Zeit, engere Vorgaben, andere, die mitreden.

Auch wenn zahlreiche Erlebnisse und Erfahrungen der letzten Jahre sich im Romantext genauso finden wie nichtrealisierte Filmideen, tritt Wieskerstrauch gegenüber der täglichen Arbeit einen Schritt zurück. „Ich wollte davon erzählen, was Bilder mit den Menschen machen.“ Im Text ist es möglich, dorthin zu gelangen, wo dem (Fernseh)Bild die Türen verschlossen bleiben. Introspektion ist eben nicht gleich Voyeurismus und Monologe, weil fiktiv, nicht automatisch Pornografie. Ist Maikes Eifersucht echter als die Lovesongs Leonard Cohens, die ihr pausenlos durch den Kopf schwirren? Das sei eine der vielen Fragen, die Wieskerstrauch stellen wollte. In dem Bewusstsein, sie nie beantworten zu können. „Wie nah kann, darf, muss man heran?“

Dass Wieskerstrauchs Argumente im Gespräch vielleicht überzeugender klingen als das Buch es einhalten kann, mag mit der Unmöglichkeit zusammenhängen, das, wovon man selbst ein Teil ist, von außen zu beschreiben. In diesem Fall: die Mediengesellschaft. „Versuchen“, so die Autorin, „muss man es trotzdem.“

Tim Schomacker

Liz Wieskerstrauch liest am heutigen Dienstag um 20 Uhr im Ambiente, Osterdeich 69a, aus „Mitten im Film“. Der Autor des Textes, Tim Schomacker, führt in die Veranstaltung ein.