Gregor Gysi in Angriffslaune

Der Spitzenkandidat der PDS und der Landesvorstand seiner Partei befürworten einen begrenzten Militäreinsatz gegen die Urheber der Attentate in New York und Washington. Pau: „Festnahme der Täter kann nicht durch Verkehrspolizei erfolgen“

von UWE RADA
und ANDREAS SPANNBAUER

Der Spitzenkandidat der PDS, Gregor Gysi, hat gestern erstmalig seine mögliche Zustimmung zu einem Militäreinsatz gegen die Urheber der Anschläge in den USA signalisiert und damit einen Streit in der eigenen Partei über die Legitimität von Militäreinsätzen ausgelöst.

In einem Interview begrüßte Gysi Repressionsmaßnahmen gegen die Urheber der Anschläge und bezeichnete dabei auch „begrenzte militärische Aktionen“ als „statthaft“. Diese müssten aber ausschließlich auf die Ergreifung der Tatbeteiligten ausgerichtet sein und dürften die Zivilbevölkerung nicht gefährden. Für die PDS stellt dies einen Tabubruch dar: Das Parteiprogramm lehnt Militäreinsätze grundsätzlich ab.

Unterstützung erfuhr Gysi gestern dabei von der Landesvorsitzenden Petra Pau. Sie forderte dazu auf, die Verantwortlichen „ausfindig zu machen und zu bestrafen“. Dabei sei auch ein Truppeneinsatz „im Sinne einer Polizeiaktion“ eine angemessene Variante. „Es ist klar, dass die Festnahme der Täter nicht von Verkehrspolizisten durchgeführt werden kann.“ Pau fürchtete, dass „eine problematische Debatte wieder aufgewärmt werden“ könnte. „Ich warne davor, völlig neue Fragen mit alten Gewissheiten zu beantworten.“

Auch der stellvertretende Landesvorsitzende Stefan Liebich befürwortete eine begrenzte Militäraktion. Die PDS habe aber „ein bisher ungeklärtes Verhältnis zu diesen Maßnahmen“. Liebich rief seine Partei dazu auf, über Militäreinsätze unter dem Mandat der UNO neu zu diskutieren. Dies sei auch die Voraussetzung, um glaubwürdig die Bekämpfung der Ursachen des Terrorismus auf wirtschaftlichem Gebiet verlangen zu können. Dies bleibe weiterhin „die Hauptaufgabe der PDS“.

Teile der Fraktion äußerten sich dagegen zurückhaltend gegenüber der Aussage ihres Spitzenkandidaten. Die Fraktionsvorsitzende Carola Freundl verlangte zwar ebenfalls eine Bestrafung der Täter. „Mir ist aber unwahrscheinlich mulmig dabei, diesen Gedanken konsequent zu Ende zu denken.“ Freundl fürchtete, dass viele PDS-Mitglieder in Gysis Äußerung einen Widerspruch zum Parteiprogramm sehen könnten. Ihr Kollege Harald Wolf hält eine internationale Polizeiaktion für angemessen, lehnte jedoch „Vergeltung und Blutrache“ ab. „Das zu erwartende Vorgehen der USA wird dazu führen, dass wir uns in der PDS wieder alle ganz schnell einig sind“, sagte der Fraktionsvorsitzende.

Zögerlich äußerte sich auch Gesine Lötzsch, die auf Listenplatz 3 für das Abgeordnetenhaus kandidiert. Eine Festnahme der Täter müsse zwar „in einer Kommandoaktion von Kräften durchgeführt werden, die an Waffen geschult sind“. Eine Militäraktion gegen ganze Staaten verwarf Lötzsch jedoch. „Militärische Aktionen, bei denen keine Zivilisten zu Schaden kommen, sind ein Widerspruch in sich.“

Die innenpolitische Sprecherin der PDS im Abgeordnetenhaus, Marion Seelig, griff den Spitzenkandidaten dagegen scharf an. Gysi habe politische Positionen der PDS ohne vorhergehende Diskussion aufgegeben. „Hier gibt es dringenden Klärungsbedarf“, sagte Seelig. „Ich glaube nicht, dass es einen klinisch reinen Krieg gibt, bei dem die Veranwortlichen getroffen werden, ohne dass es Verluste bei der Zivilbevölkerung gibt.“ Ähnlich äußerte sich auch der Abgeordnete Freke Over. „Gysis Äußerung wird von mir in keinster Weise mitgetragen. Der Begriff begrenzte Militärschläge ruft bei mir andere Assoziationen hervor als Festnahme von Verdächtigen.“ Over kündigte an, das Thema auf der heutigen Fraktionssitzung der PDS zur Sprache zu bringen. Bereits gestern Abend kamen der Fraktionsvorstand und der Landesvorstand zu Beratungen zusammen.

Gysi selbst ging auf das Thema auch in seiner „Berlin-Rede“ gestern Abend in der Nikolaikirche ein. Jede politische Kraft, die Verantwortung für ein Gemeinwesen übernehmen wolle, müsse deutlich machen, was Friedens- und was Kriegspolitik ist, stellte Gregor Gysi fest. Allerdings müsse eine Bekämpfung der wirtschaftlichen Ursachen im Vordergrund stehen. „Der Kampf gegen den Terrorismus lässt sich gewinnen, der Krieg gegen ihn nicht.“