Kuschelkurs der Kulturen

Jede Religion leistet wichtige Beiträge zum Frieden, auch in diesen Zeiten: Die Grünen luden Vertreter der evangelischen Kirche und der muslimischen Gemeinde zu einem interkulturellen Gespräch in die türkische Sehitlik-Moschee am Columbiadamm

von DANIEL BAX

Ein paar Fahrräder lehnten am Eingang der Sehitlik-Moschee am Columbiadamm, der größten Berlins und mit dem ältesten muslimischen Friedhof der Stadt, und ein paar Kameras scharten sich um die Besucher. Doch der Gebetsraum blieb dunkel, niemand wusch sich die Hände, sogar die Schuhe durften anbehalten werden an diesem Abend. Die Berliner Grünen hatten geladen, um mit der muslimischen Gemeinde ins interkulturelle Gespräch zu kommen und zu zeigen, wie ihr Bezirksabgeordneter Özcan Mutlu sagte, dass „nicht alle Moslems Terroristen sind“.

Ganz sicher jedenfalls nicht die braven Familienväter, die sich am Montagabend im Versammlungsraum der Sehitlik-Moschee etwas angespannt bemühten, alles richtig zu machen, um ja keinen Schatten auf ihre Gemeinde zu werfen. Die muslimischen Mütter waren wohl wieder mal zu Hause geblieben, dafür füllten Journalisten, Hausfrauen, „betroffene Bürger“ und beflissene Studenten die Plastik-Klappstühle bis auf den letzten Platz. Und den Besuchern, die zu spät kamen, überließen die gastgebenden Gemeindemitglieder in selbstloser Gastfreundschaft sogar ihre Plätze. Anfängliche Irritationen gingen eher auf das Konto der Technik: Die Anlage fiepste und pfiff von akustischen Rückkopplungen, sodass auf die bereitliegenden Mikrofone schweren Herzens verzichtet werden musste. Es ging auch so. Das Gespräch, nun ja, verlief wie so oft bei vergleichbaren Anlässen. Statt einer Diskussion gab jeder erst einmal ein Statement ab, das je nach Position der Redner erwartbar anders gelagert ausfiel. Der Exbürgerrechtler Wolfgang Ullmanns moderierte mit sympathischer Zurückhaltung und machte sich gleich eingangs beliebt mit der Floskel, der Islam sei ein fester Bestandteil der europäischen Kultur – ohne ihn wäre Europa im Mittelalter wohl „untergegangen im barbarischen Feudalismus“. Dafür gab es warmen Applaus, womit schon mal klar war, dass mit etwas anderem als einem demonstrativen Kuschelkurs der Kulturen nicht zu rechnen war. Dafür nahm man dann auch manche offen gelassene Frage in Kauf.

Statt eines Sprechers der muslimischen Gemeinde saß der Religionsattaché der türkischen Botschaft, Ali Kilnc, auf dem Podium, der zunächst das Osmanische Reich als Vorbild an interreligiöser Toleranz pries, stolz die Solidarität mit dem amerikanischen Volk und die Bereitschaft zum Nato-Beistand betonte und auf die langjährige Erfahrung der Türkei in Sachen Terrorbekämpfung verwies.

Unter anderen Umständen hätte an dieser Stelle vielleicht mal jemand nachgehakt, aber um eine kontroverse Debatte ging es an diesem Abend nicht. Adrienne Goehler, die Kultursenatorin Berlins, trug mal wieder ein besonders albernes Paar Ohrringe spazieren, die wie kleine Salami-Würstchen aussahen, aber farblich gut zu ihrem Schal passten. Sie und ihre Kollegin Sibyll Klotz, die bekannte, zum ersten Mal in einer Moschee zu sein, beeilten sich zu betonen, keinerlei Glauben anzugehören, auch nicht dem christlichen. Dafür musste sich Goehler, als sie dafür plädierte, in der Reaktion auf das Attentat nicht „alttestamentarisch“ vorzugehen, von ihrem Sitznachbarn Thomas Vänske, dem Vertreter des evangelischen Bischofs von Berlin-Brandenburg, über die Bedeutung der Bibelstelle belehren lassen, auf die sie sich bezog: Die Formel „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ wäre ein Appell gewesen, Strafe und Straftat in das richtige Verhältnis zu setzen – vielleicht sei das ja gerade kein schlechter Hinweis für George Bush, so Vänske.

Außerdem wünschte er sich mehr Vorsicht bei der Wortwahl – zu sagen, dass nicht alle Muslime Terroristen seien, würde schließlich unterstellen, dass es da tatsächlich einen Zusammenhang gebe. Das aber sei nicht der Fall – die Religionen leisteten einen wichtigen Beitrag zum Frieden, wie die gemeinsamen Gottesdienste mit Vertretern anderer Glaubensrichtungen gezeigt hätten.

So ganz befriedigten diese Beteuerungen das Publikum allerdings nicht. Ein Lehrer aus dem Süden Berlins gestand, nach dem Anschlag in New York mit seinen Schülern das Gespräch gesucht zu haben, sich aber mit seinem Latein am Ende zu fühlen. Er fragte, ob ihm nicht jemand ein paar Stellen aus dem Koran nennen könnte, welche die friedliebende Seite des Islams zeigten. Ein anderer Redner warf – „als Muslim“ – die Frage auf, wie es sein könne, dass ein Konzern wie DaimlerChrysler ein größeres Bruttosozialprodukt erwirtschafte als so ein riesiges Land wie Indonesien, und erhoffte sich offenbar vom Podium eine Antwort. Dem Lehrer aus Lichterfelde empfahl er dagegen lapidar, einfach mal den Koran zu lesen. Als ob man den nicht so oder so lesen kann, wie die fundamentalistisch verdrehten Attentäter bewiesen haben.