„Wir brauchen Analysen, keine Spitzelei“

Die grüne Spitzenkandidatin Sibyll Klotz will mehr Dialog statt Polizisten. Konflikte zwischen Grünen und SPD im Senat fürchtet sie nicht. Doch auch für die Berliner Grünen ist die Abschaffung des Verfassungsschutzes kein Muss mehr

taz: Die CDU will die innere Sicherheit im Wahlkampf in den Vordergrund stellen. Sind die Berliner Grünen darauf vorbereitet?

Sibyll Klotz: Ja. Das habe ich schon angenommen, als Herr Schill in Hamburg bei 15 Prozent lag, also vor dem vergangenen Dienstag. Seither ist aber klar, dass das passieren wird. Natürlich muss man ein Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung ernst nehmen. Gleichwohl warne ich davor, das zum Wahlkampfthema zu machen. Das Sicherheitsbedürfnis ernst zu nehmen, ist das eine. Das Thema zu instrumentalisieren, das finde ich eine miese Nummer.

Innensenator Körting sagt, der beste Schutz sei Toleranz. Wie lässt sich diese Aussage im Wahlkampf gegenüber den Forderungen der CDU behaupten?

Ich habe die Hoffung noch nicht aufgegeben, dass dieser Wahlkampf und sein Stil sich nach dem Attentat ändern. Worauf wir als Grüne in den nächsten Tagen und Wochen setzen, das ist der Dialog: Wir werden mit Jugendlichen reden und alle Anfragen, die aus Schulen kommen, gezielter wahrnehmen. Wir haben begonnen, den Dialog zwischen Vertretern verschiedener Religionen zu führen.

Wahlkampfstil in allen Ehren. Abgerechnet wird am Wahltag. Das Thema Sicherheit hat SPD und Grüne bislang immer Punkte gekostet.

Wie sich das Ereignis am Dienstag und die Reaktionen darauf im Wahlergebnis niederschlagen werden, vermag ich nicht zu beantworten. Ich glaube, dass es einen großen Teil in der Bevölkerung gibt, der so vernünftig ist, zu sehen, dass wir eine Balance zwischen einem subjektiven Sicherheitsempfinden und der Freiheit brauchen, der individuellen und gesellschaftlichen Freiheit, die es zu schützen gilt. Und dafür ist das Beste: Toleranz, Dialog. Prävention.

Dialog und Toleranz sind klassisch grüne Themen. Ist das immer noch so? Oder gibt es auch an der grünen Basis, bei den grünen Wählern, eine Verschiebung dieser Balance hin zu mehr Schutz durch Polizei?

Ich merke, dass bei der grünen Wählerschaft ein großes Bedürfnis besteht, zu reden. Das finde ich ein gutes Zeichen. Zum zweiten muss man auch sagen, dass Bürgerrechte kein Gutwetterthema ist, dass es auch in schlechten Zeiten darauf ankommt, sie zu verteidigen, auch wenn das gegen den Mainstream geht.

Wie steht es um mögliche Konflikte innerhalb des rot-grünen Senats?

Es gibt bisher keine Konflikte. Es wird einige Maßnahmen geben, die aber eher im Bereich der materiellen Ausstattung, von Schutzwesten und ähnlichem liegen. Es gibt keine Verständigung darauf, dass wir jetzt kurzfristig den Personalhaushalt der Polizei um soundsoviel hundert oder tausend Stellen aufstocken. Der Mehraufwand für die notwendige Aufstockung des Objektschutzes ist auch mit dem derzeitigen Personal zu machen.

In der nächsten Zeit wird sicher wieder die Forderung nach verdachtsunabhängigen Kontrollen oder der Videoüberwachung kommen.

Videoüberwachung, etwa an öffentlichen und gefährdeten Gebäuden, ist auch für uns kein Tabuthema mehr. Verdachtsunabhängige Kontrollen dagegen lehne ich nach wie vor ab. Das wäre ja genau wieder der Punkt, wo Menschen unter einen Generalverdacht gestellt werden.

Wie steht es mit dem Verfassungsschutz? Die Grünen fordern offiziell ja immer noch dessen Abschaffung.

Aufgaben und Kompetenzen des Verfassungschutzes müssen überprüft werden. Wir brauchen mehr Analysen und Politikberatung und keine Ausspitzelei. Welche Behörde diese Aufgaben am besten erfüllt, muss geprüft werden. Interview: UWE RADA