piwik no script img

KAMPF GEGEN EXTREMISMUS: DER WESTEN MUSS DIE TÜRKEI STÄRKENModell eines modernen Islam

Die Muslime haben es bislang nicht geschafft, ihren Glauben mit dem modernen Zeitgeist in Einklang zu bringen. Mittlerweile macht sogar die Differenz zu den Lebensvorstellungen freier pluralistischer Gesellschaften die Identität vieler Muslime aus, vor allem aus den ärmeren Regionen der Welt. Einigermaßen geglückt ist die Modernisierung des Islam nur in der Türkei, und auch hier nur unter staatlichem Druck, begleitet von Rückschlägen.

Im Kampf gegen den islamischen Extremismus kommt der säkularen Türkei als Verbündete des Westens eine Schlüsselrolle zu. Die Türkei weist zwar erhebliche Demokratiedefizite auf. Dennoch ist der türkische Staat das einzige politische System in der islamischen Welt, das ansatzweise mit dem Westen kompatibel ist. Die Demokratisierung und wirtschaftliche Stabilisierung der Türkei sind für eine produktive Nahostpolitik existenziell.

Das Land könnte als eine moderne, demokratische und muslimische Gesellschaft eine wichtige Vorbildfunkion erfüllen. Die Bevölkerungsmehrheit der Türkei lehnt radikale islamische Eiferer ab. Die türkische Gesellschaft hat sich islamistischen Versuchungen gegenüber bislang als standhaft erwiesen. Jeder, der eine Konfrontation zwischen der islamischen Welt und dem Westen vermeiden will, müsste jetzt für eine weitere Annäherung der Türkei an Europa eintreten.

Deutschland steht dabei im Mittelpunkt. Achtzig Prozent der Muslime, die hierzulande leben, stammen aus der Türkei. Die Mehrheit tritt für einen säkularen, modernen Islam ein – auch wenn sich nicht wenige im Umfeld islamistischer Vereinigungen aufhalten. Dieser Personenkreis muss beobachtet, gewarnt und in letzter Konsequenz gesellschaftlich isoliert werden. Einen Dialog mit diesen Gruppierungen zu führen, ist fast nicht möglich, weil die in den Debatten von den Islamisten gebrauchte Sprache nur eine Tarnsprache ist, nicht deckungsgleich mit den nach innen vertretenen Ansichten. Deutsche Behörden aber haben nicht selten gerade auf diese Gruppen gesetzt, weil sie unabhängig von der Türkei operieren. So glaubte man, die Bindung der deutschen Türken an die Türkei schwächen zu können, und förderte einen radikalen, unkontrollierbaren Islam.

Muslimische Extremisten führen ihren Krieg nicht auf dem Schlachtfeld, sondern im Kopf. Mit einem Feldzug ist ihnen nur schwer beizukommen. Eine Auseinandersetzung um Ideen muss stattfinden. Der Westen hat die Kooperation mit aufgeklärten Muslimen vernachlässigt.

ZAFER SENOCAK

1961 in Ankara geboren, lebt als Autor in Berlin. In diesem Monat erschien seine Essaysammlung „Zungenentfernung“ im Babel Verlag

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen