Wahlkampf im Schatten des Terrors

Am Sonntag wird der Hamburger Senat neu gewählt. Die Parteien geben sich pietätvoll und setzen populistisch auf Sicherheit. Die Partei Rechtsstaatlicher Offensive von Richter Schill hält sich zurück, die Links-Opposition hofft auf Stimmenzuwachs

aus Hamburg PETER AHRENS
und SVEN-MICHAEL VEIT

Die Woche der Pietät ist vorbei. Seit Dienstag voriger Woche war der Wahlkampf in Hamburg wegen der Terror-Attentate in den USA unterbrochen. Sämtliche Veranstaltungen wurden abgesagt. FDP-Spitzenkandidat Rudolf Lange ließ einen Empfang zu seinem 60. Geburtstag ausfallen. Außenminister Joschka Fischer erschien am Montagabend nicht zu seinem „grünen Wahlkampfhöhepunkt“. Gestern aber begann er nun wirklich, der Endspurt für den Wahlgang am Sonntag. Und es scheint, der Kampf um die Stimmen wird noch härter als zuvor gedacht – und pietätloser.

Als Kriegsgewinnler will niemand dastehen in der Hansestadt, an deren Universitäten mindestens drei der arabischen Terroristen studierten. Insgeheim aber hoffen alle Parteien auf zusätzliche Prozente. Und alle können sie brauchen: Umfragen verheißen je 44 Prozent für Rot-Grün wie für die schwarze Alternative aus CDU und Schill-Partei. Ausschlaggebend könnte zum einen das Schicksal der FDP sein, die um die Fünfprozentmarke dümpelt, und zum anderen das des linken „Regenbogens“, dem zwei bis dreieinhalb Prozent vorhergesagt werden.

Einzig die SPD durfte in der Wahlkampfpause unter dem Deckmäntelchen des Staatsmännischen agieren. Bürgermeister Ortwin Runde rief auf unzähligen Gedenkveranstaltungen zu Mitgefühl für die Opfer und zur Besonnenheit auf. Sein Parteichef und Innensenator Olaf Scholz rühmte das „entschlossene“ Eingreifen seiner Polizisten. Seit Donnerstag haben sie über ein Dutzend mutmaßliche „Terror-Wohnungen“ durchsucht, Verdächtige und Zeugen festgenommen oder verhört, sind im Konvoi mit Blaulicht und Martinshörnern durch die Stadt gehetzt und haben Handlungsbereitschaft demonstriert. Scholz glänzte zudem mit scheinbar populären Ideen für verschärfte Rasterfahndung und verminderten Datenschutz. Nachdem die SPD bei der inneren Sicherheit den Holzhammer auspackte, setzten CDU und FDP noch einen drauf. So traten CDU-Spitzenkandidat Ole von Beust und der pensionierter Admiral Lange, bis vor einem halben Jahr Leiter der Hamburger Führungsakademie der Bundeswehr und einer der ranghöchsten deutschen Militärs, gestern erstmals gemeinsam vor die Medien.

Im Schulterschluss forderten sie Schleier- und Rasterfahndung, mehr Personal und mehr Kompetenzen für den Verfassungsschutz. Hamburg sei „zum behaglichen Schlafzimmer für Terroristen geworden“, behauptete Lange, der Ruf der Stadt lädiert. Bei Nennung des Namens Hamburg, so von Beust, gebe es in In- und Ausland jetzt die Assoziation „Zentrum des Terrorismus“. Dem rot-grünen Senat könne man zwar nicht vorwerfen, dass Attentäter in Hamburg gelebt haben, aber „die haben sich ja nicht umsonst eine Stadt ausgesucht, in der sie sich relativ sicher fühlen“.

Dies habe natürlich nichts mit Parteipolitik zu tun, heuchelten die beiden, schließlich wolle man in dieser Frage „eine parteiübergreifende Koalition der Vernunft“, die am Ende doch nur eine von CDU, FDP und Ronald Schill sein soll.

Der dritte im rechten Bunde, Law-and-order-Politrichter Ronald Schill, spricht zwar auch von „Schlampereien und Versagen“ von Polizei und Verfassungsschutz der Hansestadt, hält sich aber erstaunlich vornehm zurück. Er ahnt wohl, dass er bei seinen komfortablen Umfragewerten im Gegensatz zu FDP und CDU gar nicht mehr weiter auf den Senat draufschlagen muss.

Krista Sager, die grüne Spitzenfrau mit den vielen Ämtern, nimmt derweil „die große Mehrheit der friedlichen Muslime“ in Schutz, verteidigt – als Wissenschaftssenatorin – die Öffnung der Hamburger Universitäten für ausländische Studierende und warnt – als Zweite Bürgermeisterin – vor einem „Brei aus Terror, Kriminalität und Ausländerfeindlichkeit“, den Schill und Bild-Zeitung anrühren könnten. Ansonsten macht sie aus ihrer Skepsis gegenüber dem Instrument Rasterfahndung zwar keinen Hehl, doch sie äußert sich öffentlich zurückhaltend – so kurz vor der Wahl will sie keinen Dissenz mit dem Koalitionspartner SPD riskieren.

Selbst die Linksopposition vom „Regenbogen“ glaubt an Stimmenzuwachs, „so pervers das klingen mag“, sagte Spitzenkandidatin Heike Sudmann. Aber da alle anderen militärischen Einsätzen das Wort redeten, sei der „Regenbogen“ die „einzige politische Kraft in Hamburg, die Krieg als Mittel der Politik grundsätzlich ablehnt“. Und so träumt das friedensbewegte Grüppchen, das sich vor zweieinhalb Jahren wegen des Kosovokrieges von den Hamburger Grünen abspaltete, wieder vom Überwinden der Fünfprozenthürde. Der Wahlkampf in Hamburg ist nach den Attentaten zwar noch spannender geworden, nicht aber niveauvoller.