Mehrere Optionen für eine Justiz-Lösung

Statt eines völkerrechtswidrigen Militärschlags gegen Bin Laden könnte dieser auch vor Gericht gestellt werden

BERLIN taz ■ Militärische Vergeltungsschläge sind kein Mittel der Strafjustiz. Auch die vermeintlichen Urheber großer Verbrechen haben Anspruch auf einen öffentlichen Prozess, in dem ihre Schuld bewiesen werden muss. Im Fall Ussama Bin Ladens kommen dabei vor allem drei Gerichtsorte in Betracht.

Möglich wäre etwa ein Strafprozess in den USA, dem Ort der Anschläge. Bin Laden könnte dort als Drahtzieher eines mehrtausendfachen Mordes angeklagt werden. Bisher hat sich Afghanistan allerdings stets geweigert, den auf ihrem Staatsgebiet lebenden gebürtigen Saudi an die USA auszuliefern. Wahlweise erklärten sie, dass es „keine Beweise“ für die Täterschaft Bin Ladens gebe oder dass Bin Laden ein Gast sei, den man nicht einer „Nation von Ungläubigen“ ausliefere.

Um die Auslieferung zu erzwingen, kann die USA einseitige Sanktionen gegen die Taliban verhängen, für die sie kein Mandat des UN-Sicherheitsrat benötigt. Ausgeschlossen sind wegen des Gewaltverbots der UN-Charta allerdings Militärschläge. Auf ihr in der Charta garantiertes Selbstverteidungsrecht kann sich die USA nur berufen, wenn von Bin Laden unmittelbar bevorstehende neue Angriffe ausgehen.

Da die Vereinigten Staaten Bin Laden bereits wegen der 1998 erfolgten Anschläge auf die US-Botschaften in Kenia und Tansania, denen 257 Menschen zum Opfer fielen, den Prozess machen wollten, hat der UN-Sicherheitsrat 1999 einen weltweit verbindlichen Verkehrs- und Wirtschaftsboykott gegen das Taliban-Regime verhängt. Da dieser bisher wirkungslos blieb, könnte der Sicherheitsrat nun auch eine Militäraktion zur Ergreifung von Bin Laden billigen.

Zurzeit verhandelt eine pakistanische Regierungsdelegation mit den Taliban über eine Auslieferung. Agenturberichten zufolge haben die afghanischen Machthaber mehrere Bedingungen für ein Einlenken gestellt. Neben eher allgemeinen Bedingungen, wie der völkerrechtlichen Anerkennung des Taliban-Regimes, fordern sie, dass der Prozess gegen Bin Laden in einem „neutralen Staat“ stattfinden muss. Schon vor drei Jahren hatten sie ein Verfahren in einem muslimischen Land angeboten, das von der Konferenz Islamischer Staaten (OIC) überwacht werden könne. Dieser Vorschlag war jedoch von den USA zurückgewiesen worden.

Ähnliche Kompromisse haben jedoch in einem anderen Fall bereits zum Erfolg geführt. Nach jahrelangen Sanktionen lieferte Libyens Staatschef Gaddafi zwei Geheimdienstagenten aus, die 1988 den Absturz eines US-Jumbos mit 259 Passagieren über dem schottischen Lockerbie verursacht haben sollen. Vereinbart wurde damals, dass der Prozess zwar nach schottischem Recht, aber in einem neutralen Staat (Niederlande) durchgeführt werde. Verurteilt wurde Anfang dieses Jahres einer der beiden Angeklagten. Wie sich im Prozess herausstellte, waren die angeblich „wasserdichten Beweise“ eher dünn.

Als dritte Option käme auch die Einrichtung eines internationalen Gerichtes in Frage. Modellhaft sind hier die Gerichtshöfe für die Völkermordtaten in Exjugoslawien und Ruanda. Beide wurden vom UN-Sicherheitsrat eingerichtet und sitzen ebenfalls in neutralen Staaten: im niederländischen Den Haag und im tansanischen Arusha. Die Richter waren von der UN-Generalversammlung gewählt worden.

Der Ständige Internationale Strafgerichtshof, dessen Einrichtung derzeit vorbereitet wird, kann im Fall Bin Laden dagegen keine Bedeutung erlangen, unter anderem weil das so genannte Rom-Statut noch nicht in Kraft getreten ist. Erforderlich ist die Ratifizierung durch mindestens sechzig Staaten, bisher sind es erst rund vierzig. CHRISTIAN RATH