Widersprüchliche Signale

Der starke Druck der USA hat die Taliban offenbar in Konfusion gestürzt, jetzt scheinen sie erst mal Zeit gewinnen zu wollen

aus Delhi BERNARD IMHASLY

Die Taliban-Führung hat eine Entscheidung über die von den USA geforderte Auslieferung von Ussama Bin Laden einem Treffen von rund eintausend Religionslehrern überlassen, die sich wahrscheinlich heute in Kabul versammeln werden. Die Gespräche mit einer pakistanischen Regierungsdelegation, die auf eine rasche Übergabe drang, waren ohne konkrete Resultate verlaufen. Nach ihrer Rückkehr in Pakistans Hauptstadt sagten Delegationsmitglieder, die Taliban hätten sich nicht grundsätzlich gegen eine Auslieferung des mutmaßlichen Terroristen, sondern es sei über konkrete Bedingungen der Taliban gesprochen worden. Dazu zählten, so berichtet die Agentur Itar-Tass, die Auslieferung an ein neutrales Drittland, eine internationale Anerkennung des Taliban-Regimes, die Aufhebung der UNO-Sanktionen sowie umfassende Wirtschaftshilfe.

Diese Aussagen müssen allerdings mit Vorsicht bewertet werden. Die widersprüchlichen Meldungen aus Afghanistan zeigen, dass der starke Druck der USA die Taliban-Führung mit ihrer rudimentären Regierungsorganisation in große Konfusion gestürzt hat. Am Montag hatte der Taliban-Regierungschef zuerst gesagt, die Taliban hätten den USA und ihren Helfershelfern den „heiligen Krieg“ erklärt. Dies wurde gestern dementiert, ebenso wie die Absicht, selber über eine Auslieferung Bin Ladens entscheiden zu wollen. Stattdessen betraute Taliban-Führer Mullah Omar die Zusammenkunft der „Ulemas“ damit. Und zuerst hatte er diese zur Verabschiedung einer Fatwa zum „heiligen Krieg“ gegen die USA nach Kandahar berufen. Nun wurden sie nach Kabul umgeleitet und sollen dort ein Edikt über die Auslieferung Bin Ladens erlassen. Gestern hieß es dann, die Ulemas würden erst heute und morgen zusammentreffen.

Es lässt sich nicht beurteilen, ob der Grund für die Verschiebung die verspätete Ankunft einiger Religionslehrer ist, wie es die Taliban vorgeben, ob es dem komplizierten Entscheidungsweg zwischen Kandahar und Kabul zuzuschreiben ist oder vielleicht gar einem bewussten Hinauszögern zum Zwecke des Zeitgewinns. Die widersprüchlichen Signale über die mögliche Reaktion – vom „heiligen Krieg“ bis zu den Modalitäten der Auslieferung – legen Letzteres nahe.

In Islamabad gibt es aber auch Stimmen, die das Zögern auf Uneinigkeit in der Taliban-Führung zurückführen. Andere Beobachter sprechen davon, dass Mullah Omar selbst unentschieden ist, ob er dem engen und verschwägerten Freund und religiösen Kampfgenossen Bin Laden weiter das heilige Gastrecht zukommen lassen soll, um dabei selbst Kopf und Kragen zu riskieren.

In Pakistans Metropole Karachi demonstrierten gestern 5.000 Islamisten gegen einen möglichen US-Angriff auf Afghanistan. Hunderte Polizisten und Paramilitärs hinderten die Menge am Marsch zum US-Konsulat. China verlangte gestern seine Zustimmung der UNO zu einer eventuellen militärischen Vergeltung der USA.