Dazwischengeschobenes

Moderne griechische Literatur: Lesungen von Seranna Sateli, Jorgi Jatromanolakis, Alki Séi und Thanassis Valtinos  ■ Von Vassilis Tsianos

Dass sich die deutschen Verlage anlässlich des Länderschwerpunkts der diesjährigen Buchmesse entschlossen haben, in größerer Menge neugriechische Prosa zu übersetzen, hat schon etwas von einer kleinen Revolution. Das Griechenland des 20. Jahrhunderts war auf der hiesigen kulturellen Landkarte bislang nur mit wenigen Inseln verzeichnet: Seferis, Elytis, Kazantzakis, Theodorakis. Vor allem der moderne Roman fristete ein erstaunliches Schattendasein; es waren Lyrik, Lieder und Tanz, die hauptsächlich mit Kultur aus Griechenland in Verbindung gebracht wurden. Tatsächlich tat man sich schwer damit, dem antiken „Ursprung“ Europas überhaupt so etwas wie Modernität zuzubilligen.

Erst der politisierende Roman Ein Mann von der Italienerin Oriana Fallaci über Alekos Panagoulis – er hatte ein Attentat auf den Juntachef Papadopoulos verübt – löste 1979 hierzulande eine kleine Welle von Übersetzungen griechischer Prosa aus. Bei Blanvalet erschienen wichtige Romane von Vassilikos und Antonis Samarakis. Suhrkamp veröffentlichte eines der wenigen experimentellen Werke der griechischen Prosa: Alexandros Skinas Fälle. Mit dem Ende der Junta 1974 wurden die Übersetzungen jedoch immer spärlicher. Nur in kleinen Verlagen wie Romiosini erschien kontinuierlich Prosa – freilich musste hier so manches Mal das Wuchern mit dem Pfund des „Griechentums“ die schlechte Übersetzung übertünchen.

Zweifellos haben vor allem linksintellektuelle Exilanten wie Theodorakis oder auch Costa-Gavras zum westlichen Bild Griechenlands beigetragen – auch zu dessen Verklärung. Allgemein haben die Folgen der Auswanderung die Kultur in Griechenland stark geprägt. So ist es kaum verwunderlich, dass die diasporische Erfahrung in der griechischen Literatur zum Topos wurde. In Die Legende des Andreas Kordopatis etwa lieferte Thanassis Valtinos 1972 den Bericht einer Emigration in die Vereinigten Staaten. Vier Jahre später erschien Das doppelte Buch von Dimitris Chatzis, das vom Alltag der „Gastarbeiter“ in Deutschland handelte. Beide Bücher reflektierten auch formal, wie sehr die Umstände die Autonomie des Emigranten in Frage stellen – bei Valtinos kommt dies in der extrem kalten, distanzierten Rede zum Ausdruck.

Den Obristen, die sich 1967 an die Macht geputscht hatten, waren sogar die Werke von Sophokles und Aristophanes zu kritisch – sie wurden verboten. Autoren wie Vassilis Vassilikos und Alexandros Kotzias reagierten darauf durch feine Arbeit am sprachlichen Stil, unterhalb der staatlichen Kontrolle. Dennoch hat der Realismus die griechische Prosa stets dominiert – auffällige Experimente waren eine Seltenheit. Doch schon innerhalb der realistischen Schreibweise existieren immense Differenzen und Verschiebungen. Jorgi Jatromanolakis etwa überführte 1982 mit seiner Istoria das Realistische in eine zweite, fantastische Dimension, mit extrem lakonischen Ausdrucksmitteln. Inzwischen sind es vor allem die Frauen, welche dem zeitgenössischen Roman die relevanten Impulse versetzen: Maro Douka, Seranna Sateli, Rea Galanaki oder Alki Séi haben den Realismus jeweils auf ihre Weise verändert und weiterentwickelt.

Es ist erstaunlich, wie fremd Griechenland hierzulande geblieben ist, obwohl seit den sechziger Jahren ein fast einmaliger Bevölkerungsaustausch zwischen beiden Staaten stattfindet: Millionen von Deutschen reisen Jahr für Jahr in die griechischen Touristenzentren, während mehr als ein Zehntel der griechischen Bevölkerung zum Arbeiten nach Deutschland kam oder gar hier sesshaft wurde. Wenn heute Sateli und Jatromanolakis, am kommenden Dienstag Valtinos und Séi zu Lesungen nach Hamburg kommen – begleitend zum Länderschwerpunkt „Griechenland“ der Frankfurter Buchmesse – erhält das hiesige Lesepublikum eine neue Chance für die Suche nach dem „Land der Griechen“ – doch diesmal kann es nur eine Suche nach dessen Modernität sein. Die nun zahlreicher übersetzten Romane können dabei helfen, Überreste von Philhellenenklischees und Authentizitätskitsch aus der „Seele“ zu entfernen und endlich einen Blick zu werfen auf das „dazwischengeschobene“ Leben im Griechenland des 21. Jahrhunderts.

Lesung Seranna Sateli und Jorgi Jatromanolakis: heute, 19.30 Uhr; Thanassis Valtinos und Alki Séi: Dienstag, 25.9., 19.30 Uhr, beide Vortragssaal der Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzki, Von-Melle-Park