Much concept about nothing

■ Der Berliner Künstler Ottjörg A.C. zeigt in einer Mini-Ausstellung einen Querschnitt durch seine bisherige Arbeit - inklusive interaktivem Mitmach-Scheiben-Scratching

Na, auch schon mal in der Straßenbahn gesessen und sich über die ewig zerkratzten Scheiben geärgert, die den freien Blick nach außen mit dahingeklatschten Namens-Kürzeln verschleiern? Dann lassen Sie sich zwei Dinge gesagt sein: Erstens: Es heißt gar nicht „kratzen“, sondern in schönstem Neudeutsch „scratchen“. Und zweitens: Sie haben es hier mit potenzieller Kunst zu tun!

Was auf den ersten Blick nicht viel mehr als ein urbanes Ärgernis zu sein scheint, hervorgerufen durch die Zerstörungswut irgendwelcher Jugendlicher, kann, aus künstlerischer Perspektive gesehen, durchaus noch andere Qualitäten beherbergen. Das findet zumindest Ottjörg A.C., Berliner Künstler und ehemaliger Meisterschüler von Alfred Hrdlicka. Für sein Projekt „Existentmale“, das er 1999 startete, sammelt er Original-U-Bahn-Scheiben aus verschiedenen europäischen Großstädten und benutzt diese dann als Druckstöcke für großformatige, farbige Radierungen.

„Ich wollte mich schon länger mit Radierungen beschäftigen, suchte aber nach der zündenden Idee. Bis ich mir die Scheiben in U-Bahnen genauer anguckte und merkte, da fahren ja meine Druckplatten...“, erzählt der Künstler. Er trat mit den Verkehrsbetrieben in Kontakt und bekam tatsächlich ausrangierte Scheiben zur Verfügung gestellt, die er bearbeiten konnte.

Zwei dieser Scheiben - eine aus Berlin, eine aus Zürich - sind jetzt einen Monat lang im Pavillon des Gerhard-Marcks-Hauses zu bewundern. Auf engstem Raum stellt Ottjörg A.C. aber nicht nur diese beiden Scratch-Kunstwerke aus, sondern auch ältere Arbeiten von sich, Betonplastiken und Steinarbeiten. „Ich zeige meine eigene Geschichte, die sich immer wieder verändert, überschreibt wie die U-Bahn-Scheiben“, erläutert er das Konzept der Mini-Ausstellung. Und dieser Erläuterung bedarf es durchaus, wirkt der kleine Pavillon auf den ersten Blick doch reichlich zusammenhanglos bestückt. Ziemlich viel Konzept für so wenig Platz, ist man versucht zu sagen und fragt sich, ob es nicht sinnvoller gewesen wäre, ausschließlich die Scratch-Platten zu zeigen, die zumindest reichlich Diskussionsstoff bieten.

Ottjörg A.C. selbst ist jedenfalls sehr angetan von seiner Idee und kann inzwischen auch so einiges über die europäische Scratch-Szene berichten. Nicht nur mehrere Magazine zum Thema erscheinen regelmäßig, es gibt sogar einen Scratch-Tourismus, Scratcher aus verschiedenen Großstädten besuchen sich gegenseitig, um das jeweilige „Lokalkolorit“ unter die Lupe zu nehmen. Denn das gibt es tatsächlich.

„In Paris wird beispielsweise ein Zeichen nicht über das Zeichen eines anderen gescratcht, während das in Berlin durchaus vorkommen kann. Und Wiener benutzen als Einzige auch Metall-Putzschwämme zum Scratchen.“ Welche lokalen Besonderheiten die Bremer Scratcher vorzuweisen haben, wird allerdings vorerst künstlerisch unerforscht bleiben: die BSAG weigerte sich schlicht und einfach, Ottjörg A.C. ihre Scheiben zu überlassen. Kurzerhand wurden also in den Marcks'schen Pavillon noch ein paar bislang unberührte Glasscheiben gequetscht und so die Möglichkeit zum Mitmach-Scratchen geschaffen.

Die Scheiben, die so im Laufe der Ausstellung entstehen, sollen Ende Oktober in einer „Finissage“ auf Papier gedruckt und dem geneigten Bremer Publikum dann als fertige Radierungen präsentiert werden.

Bodil Elstner