Filmstarts à la carte
: Wir beginnen mit dem Anfang

Die Dinge, die er so ganz und gar nicht mochte, hat der Komiker Karl Valentin einmal sehr deutlich benannt: „Was Valentin nicht filmen will, sind: Bayerische Filme - Schuhplattlergestampf - Rauferei auf Kirchweih - Schmalznudelgedampf ...“ Aber trotz dieses Bekenntnisses steht zu befürchten, dass Valentins heutige Popularität auf genau jenem Missverständnis beruht, das den anarchischen Komödianten als ein spezifisch bayerisches Original in harmlosen Schwänken irgendwo zwischen Heustadel und Dirndlrauschen verortet. Doch Valentin war alles andere als harmlos: Sein Kampf galt der kleinbürgerlichen Existenz, und seine Waffen waren eine unglaubliche Umständlichkeit und verquere Logik (“Wie kann man sehen, dass jemand nicht da ist?“), mit der er jedes Streben nach Ordnung und Reibungslosigkeit konterkarierte. Seinen Verkleidungen und falschen Nasen zum Trotz beruht Valentins Komik in seinen Tonfilmen vor allem auf dem Wort, das immer buchstäblich ernst genommen wird: „Ich kann mich deshalb doch nicht aufhängen“, sagt der von Liesl Karlstadt gespielte Kapellmeister in Carl Lamacs „Orchesterprobe“ (1933), als er auf seine verrutschte Krawatte aufmerksam gemacht wird. Und Valentins Replik folgt postwendend: „Warum nicht? Es geht alles, wenn man nur den guten Willen mitbringt.“ Ihre scheinbare Rationalität und die bis zum bitteren Ende gedachte Logik führen die Valentin‘schen Figuren geradewegs ins Absurde, wo bürgerliche Konventionen endgültig zerschmettert und Respektspersonen ihrer ganzen Autorität beraubt werden. Kein Wunder also, dass Valentin im Dritten Reich - der grausamsten Diktatur größenwahnsinniger Spießbürger - keine Zukunft hatte. Der Film „Die Erbschaft“ (ein bitterarmes Ehepaar erwartet ein Erbe, das sich nie realisiert) wurde 1936 wegen „Elendstendenzen“ verboten, und 1940 trat Valentin aus der „Reichsfachschaft Film“ aus - was das Ende seiner Filmkarriere bedeutete. Doch selbst dafür konnte Valentin noch einen bitteren Spott aufbringen: „Vor Geiselgasteig - steht der Valentin, er steht vor den Toren - selten war er drin.“

„Orchesterprobe“, „Im Schallplattenladen“, „Musik zu Zweien“ 22. 9. im Arsenal 1

Viel Geld stand nicht zur Verfügung, als der britische Regie-Veteran Michael Anderson „Die neuen Abenteuer von Pinocchio“ in Luxemburg als Kombination aus Real- und Puppentrickfilm drehte. Und obwohl es in der Dramaturgie manchmal etwas drunter und drüber geht, macht der Film sein Handicap durch stimmungsvolle Fotografie und eine märchenhaft-surreale Atmosphäre weitgehend wett. Eigentlicher Hauptdarsteller ist jedoch nicht die Exmarionette Pinocchio, sondern der böse Zauberer Lorenzini, dem Udo Kier in Verkleidung der Madame Flambeau Gestalt verleiht - und der dank seines genüsslich zelebrierten Over-Actings ganz prima amüsiert.

„Die neuen Abenteuer von Pinocchio“ 20. 9.-26. 9. im Sojus 1

Seinen Ruhm verdankt der Polizeithriller „Bullitt“ von Peter Yates vor allem einer aufregenden Autoverfolgungsjagd durch die hügeligen Straßen von San Francisco: Von Kameramann William A. Fraker abwechselnd in Totalen und aus der Sicht des Fahrers aufgenommen, wird das rasante Auf und Ab für den Zuschauer fast physisch erfahrbar. Doch auch abseits der Actionhöhepunkte besitzt „Bullitt“ Qualitäten als stilvolle Charakterstudie eines einsamen Polizisten, dessen Arbeit dank der Arroganz eines ambitionierten Staatsanwalts nicht eben einfacher wird. Steve McQueen spielt den Lieutenant Frank Bullitt als kühlen, beobachtenden Menschen, dessen Freundin ob seiner kalten Professionalität richtig gehend erschrickt, als sie ihn einmal zufällig am Schauplatz eines Mordes bei der Arbeit sieht. Doch dagegen setzt der Film ein sich durch Blicke manifestierendes wortloses Einverständnis, das Bullitt mit Kollegen, Ärzten und Angehörigen von Opfern herzustellen versteht - und das ihn von den schnöden Karrieristen seiner Umgebung abgrenzt.

„Bullitt“ 23. 9. im Z-inema

Lars Penning