100 Tage Rauchen auf dem Balkon

Heute zieht der „Übergangssenat“ eine Bilanz seiner Regierungsarbeit: Rot-grüne Reformprojekte sind nicht in Sicht. Dafür gibt es Fortschritt beim Sparen und bei der Bankgesellschaft. Die Finanzsenatorin Krajewski hat plötzlich viele Verbündete

von ROBIN ALEXANDER

Es kann gar nicht schnell genug gehen in diesen bewegten Zeiten. Erst sechsundneunzig Tage ist es her, dass ein rot-grüner Senat unter der Führung von Klaus Wowereit (Regierender Bürgermeister, SPD) und Wolfgang Wieland (Justizsenator, Grüne) den Amtseid ablegte. Die Schonfrist von einhundert Tagen, die Opposition und professionelle Beobachter traditionell jeder neuen Regierung zubilligen, ist noch nicht verstrichen. Aber ihre Bilanz wollen sich die Regierenden heute schon mal selbst ausstellen. Tempo tut Not, besteht doch die Gefahr, dass diese organisierte Form des Eigenlobs heute von der Debatte um die innere Sicherheit überdeckt wird.

Schwierig war die Ausgangslage vor drei Monaten: In der vom Bankenskandal und Missmanagement angeekelten Stadt gab es eine entschlossene „Wechselstimmung“. Die für diesen Wechsel notwendige Einbeziehung der PDS berührte dennoch sogar eingefleischte SPD- und Grünen-Anhänger unangenehm.

Ein „echter Neuanfang“ sollte es werden mit SPD-Senatoren, die jahrelang unter Eberhard Diepgen dienten. Das in der Regierungserklärung pathetisch formulierte Ziel „Berlin von den Fesseln des alten Denkens“ zu „befreien“, sollte ausgerechnet unter Führung des Volksbildungsstadtrates und ewigen Lichtenradeners Klaus Wowereit gelingen.

„Ein Hauch von 1989“ wehe durch den Raum, befand gar der endlich zu Senatorenwürde gelangte Wolfgang Wieland. Die Idee, die Koalition der Partei SPD mit der Partei „Die Grünen“ könnte ein hoffnungsbefrachtetes rot-grünes Reformprojekt wie anno dazumal sein, wollte im Jahr 2001 nirgendwo aufkommen. Zu Recht: Mit einer Bilanz ihrer klassischen rot-grünen Themen würden Wowereit und Wieland kaum ein Pressekonferenzchen bestreiten können. Verkehrspolitisches Umsteuern: null. Liberale Drogenpolitik: verharkt. Im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses gibt es eine rot-rot-grüne Mehrheit für einen Modellversuch zur Einrichtung von so genannten Fixerstuben. Im Senat nicht. Flüchtlingspolitik: schwach. Immerhin soll Abschiebehaft für Minderjährige, Schwangere und Mütter mit Kindern abgeschafft werden.

Nein, im rot-grünen Senat ging es nicht wirklich um ein Umsteuern oder gar um etwas Neues. Eher haben der Regierende Bürgermeister, seine vier Senatorinnen und vier Senatoren schon vorhandene Konzepte realisiert. Dies ist nicht wenig, war doch die große Koaltion dafür bekannt, jeden Plan so lange durch den Fleischwolf der Klientelinteressen zu drehen, bis er nicht mehr wiederzuerkennen war. Stattdessen wurde jetzt „auf den Weg gebracht“: das horrende Kosten sparende Gebäude-Management. Das allerdings lag bereits fertig in der Schublade der Finanzverwaltung. Weitere Punkte, derer sich die Übergangsregenten heute womöglich loben werden: die Einbringung des Nachtragshaushaltes und ein so genanter „Kassensturz“, der die tatsächliche Haushaltslage wenigstens in etwa korrekt darstellt. Für diese Wiederherstellung von Normalität ist eine Neu-Berlinerin verantwortlich: Christine Krajewski, von der legendären SPD-Sparkommissarin Annette Fugmann-Heesing in den Senat gelotst, macht vielleicht die beste Figur im ganzen Ensemble. Die Saarländerin besetzt einen Posten, der jetzt zur Schlüsselstellung avancierte. Die Finanzsenatorin trifft wichtige Entscheidungen – mit wechselnden Bündnispartnern. Bei der Durchsetzung des Kassensturzes lag die Initiative bei den Grünen. Eine Dauersubventionierung des maroden Theater des Westens lehnte Krajewski, auf Wowereit gestützt, ab. Das Diktum, nichts gehe mehr bei dieser Kassenlage, ist falsch: Sparen geht immer. Mit dem PDS-Fraktionsvorsitzenden Harald Wolf („Krajewski leistet gute Arbeit“) hat die Sparsenatorin noch einen Verbündeten in Reserve.

Wowereit fährt eine Doppelstrategie. Bei Themen, deren Durchsetzung ihm wirklich wichtig erscheinen, setzt er auf Dialog. Um sein Ziel, eine Milliarde Mark bei den Personalkosten einzusparen, zu erreichen, bringt er alle Senatoren und Staatssekretäre und die Führung der Gewerkschaften an seinen Regierungstisch. Geht es um Akte eher symbolischer Politik, wie die Forderung einer Fusion von S-Bahn und BVG, überfährt Wowereit auch schon mal lustvoll den grünen Koalitionspartner und demonstriert, wer Herr im Hause ist.

Sicher ist: Es wird auch nach den Wahlen vom 21. Oktober einen Wowereit-Senat geben. Die CDU ist mit ihrem Spitzenkandidaten Frank Steffel praktisch schon jetzt aus dem Rennen. Sicher ist aber auch: Rot-Grün wird es nach den Wahlen nicht mehr geben. In den Parlamentsausschüssen klappt die Zusammenarbeit mit der PDS bislang hervorragend. Aber hat Gerhard Schröders Plazet für Rot-Rot in Berlin auch in Zeiten Bestand, wo Nato-treue Staatsräson ist? Schön für Wowereit, das im Zweifelsfall auch noch die auferstandene Berliner FDP als Mehrheitsbeschafferin bereitsteht. „Dies ist ein Senat des Übergangs“, wird gebetsmühlenartig wiederholt. Was am Ende des Übergangs steht, ist völlig offen.

Eine rot-grüne Neuerung bleibt aber irreversibel: Der Nichtraucher Wowereit hat alle Rauchwaren aus der Senatsitzung verbannt. Nikotinsüchtige Senatsmitglieder weichen immer öfter auf die Balkone des Roten Rathauses aus. Mehr als eine Zigarette ist nicht drin: Dann geht es wieder an die Arbeit. Es kann schließlich gar nicht schnell genug gehen in diesen bewegten Zeiten.