Rambazamba unter Tränen

Auf geht’s zur stillen Wiesn! Eine Führung über das schwer trauernde Oktoberfest

Statt der neuesten Pop-Hits werden getragene Weisen wie die Missa solemnis gespielt

Heilig ist dem Bayern sein Oktoberfest: zwei Wochen Rambazamba und Umpta-täterä. Danach folgt üblicherweise der große Katzenjammer mit anschließendem Winterschlaf. Aber in Zeiten, in denen wir alle ein Stück weit Amerikaner sind, ist nichts mehr so, wie es war. Im Münchner Rathaus waren Schicksalsfragen zu klären: Darf man in Zeiten des Terrors feiern und Bier trinken? Die Ältesten der Stadt entschieden weise: Feiern geht, aber bitte leise. Ohne „O’zapft is“, ohne Feuerwerk und ohne Prosit der Gemütlichkeit. Nach dem Motto: Wir dürfen uns doch nicht von einem Bin Laden die Maß aus der Hand nehmen lassen. Hier also die Highlights der stillen Wiesn 2001.

Die Stadt gleicht einem Feldlager der internationalen Säuferbrigaden: eine riesige italienische Wohnmobil-Armada hat den Weg über den Brenner gemacht und spuckt ihre vielköpfigen Besatzungen aus, österreichische Alpenbewohner mengen sich unter die bayerische Urbevölkerung, Amerikaner versuchen mit belegter Zunge, „Lowenbrau“ auszusprechen, und Australier und Neuseeländer tun alles, um ihrem Ruf als der Creme der internationalen Kampftrinkerelite gerecht zu werden. Über fünf Millionen Maß Bier waren vergangenes Jahr das Ergebnis der vereinten Bemühungen. Dieses Jahr werden es trauerbedingt vermutlich nur 4,9 Millionen Maß sein.

Wegen des riesigen, einen Maßkrug stemmenden und alle paar Minuten „Lööööööwenbräu“ röhrenden Pappmaschee-Löwen vor dem Eingang ist die „Löwenbräu-Festhalle“ wohl das bekannteste Zelt. Und das mit dem schlechtesten Bier. Kein Münchner käme auf die Idee, freiwillig „Lätschenbräu“ zu trinken. Dieses Jahr werden es viele tun – aus Solidarität mit dem Amerikaner, der hier sein bevorzugtes Feuchtbiotop hat.

Das „Augustinerzelt“ ist das einzige, in dem noch wirklich vom Holzfass, dem Hirschen, gezapft wird. In allen anderen Zelten kommt das Bier aus dem Container – und das Holzfass dient nur noch als nostalgischer Schlauch- Terminal. Auch wenn der „Edelstoff“ schon lange nicht mehr von Augustiner-Mönchen gebraut wird, ist Augustiner immer noch der Lieblingstrunk katholischer Bierfundamentalisten – und somit jede Maß ein Glaubensbekenntnis zur abendländischen Wertegemeinschaft.

Nach dem Willen der Veranstalter wurde der traditionsreiche „Hau den Lukas“ in „Hau den Laden“ umbenannt. Die Schießbudenbetreiber kooperieren dieses Jahr außerdem mit Ausbildern der Bundeswehr. Besonders begabte Schützen sollen von der Wiesn weg für den Bund angeworben werden.

In „Käfer’s Wiesnschänke“ von Münchens Schickigastronom Michael Käfer trifft sich die bessere Gesellschaft. Promis in Edeldirndl und Hirschlederner, bayerischer Lodenhochadel in Designertracht geben sich ein herbstliches Stelldichein, bevor es zum Überwintern nach Marbella geht. Stille Zecher kommen bei Reiberdatschi mit Kaviar auch dieses Jahr voll auf ihre Kosten. Das Premiumzelt im Hochpreissegment, in dem als schwarzer Farbtupfer Stimmungs-Cruise-Missile Roberto Blanco auf keinen Fall fehlen darf. Ein bisschen Spaß muss schließlich auch in Kriegszeiten sein.

Im Hippodrom trifft sich Cabrio-Jungvolk aus den Landkreisen rund um München. Dass hier von der Kapelle keine traditionelle Blasmusik, sondern schlechter Rock gespielt wird, kann heuer als Zeichen der Verbundenheit mit unseren amerikanischen Bündnispartnern verstanden werden. Auch die Fahrgeschäfte sollen ihren Beitrag zu einer stillen Wiesn leisten: Alles wird mit gedrosseltem Tempo gefahren, und die Betreiber haben sich verpflichtet, statt der neuesten Pop-Hits getragene Weisen wie die Missa solemnis zu spielen. Außerdem werden tägliche Gedenkminuten an das Unfassbare erinnern. Pech hat, wer sich gerade kopfüber in der Looping- Schleife befindet.

Das Hofbräuzelt ist der Stronghold von Down under. Aussis und Kiwis stellen alljährlich die mittelalterlichen Gelage von König Artus’ Tafelrunde nach. Unverzichtbarer Bestandteil des ganztägigen Zeltaufenthalts ist es, spätestens nach der vierten Maß die Hosen runterzulassen oder die Bluse auszuziehen. Dieses Jahr soll zwar auf den Wiesnstrip verzichtet werden, aber spätestens, wenn DJ Ötzi seinen Wiesnhit „I bin der Laden aus Tirol“ ins Mikro schmettert, gibt es doch kein Halten mehr.

RÜDIGER KIND