piwik no script img

pampuchs tagebuchDie Umrisse des Teufels

Vom New Yorker Broker bis zum afghanischen Bauern, vom Bible-Belt-Farmer bis zur Gaza-Strip-Marktfrau: alle werden sie sich ihr Leben lang an den Tage erinnern, an dem die Twin Towers des World Trade Centers brennend in sich zusammenfielen. Auch wenn – medientechnisch gesehen – der Anschlag das wohl kaum noch zu überbietende globale TV-Event war, noch nie ist ein historisches Ereignis derart aufwändig und verschwenderisch in Bild und Ton live festgehalten worden – das Internet hat in diesen Tagen ebenfalls neue Höhen erklommen. Trotz der überwältigenden Fülle professioneller öffentlicher Berichterstattung können diese grauen Septembertage auch als weiterer Schritt auf dem Weg zum Paralleluniversum der privaten Kommunikation im Netz gesehen werden.

Nicht ganz zu Unrecht erregen sich manche über die „Gleichschaltung“ der veröffentlichten Meinung. Noch nie hat es daneben aber eine derart breite, globale Debatte im Netz gegeben. Ob diese allerdings dabei hilft, den „ersten Krieg des 21. Jahrhunderts“ zu verhindern, wird sich weisen müssen. Nicht alles von dem, was da in den letzten Tagen durchs Netz geschwirrt ist, macht unbedingt Hoffnung in dieser Richtung. Ich weiß, wovon ich rede. Immerhin habe ich seit dem 11. September neben unmäßigem TV-, Radio- und Zeitungskonsum auch schon mehr als 15 Stunden im Netz verbracht. Und nicht ganz ohne zusätzliche Erkenntnisse.

Zu den gruseligeren gehörte dabei die Botschaft, die mir unter www.saunalahti.fi/~miikap2/wtc666 zugespielt wurde. Obwohl ich des Finnischen nicht mächtig bin, wird deutlich, dass der Kommentar sich offensichtlich darum bemüht, anhand von drei CNN.com-Fotos der brennenden WTC-Türme den Nachweis zu führen, dass bei dem Anschlag der Teufel seine Hand im Spiel hatte. Mit ein wenig Fantasie (und ein paar gestrichelten Linien) kann man nämlich die Umrisse Luzifers in den Rauchschwaden erkennen. Etwas anderer Natur sind die Kettenbrief-ähnlichen Mails, in denen ich zum Beispiel aufgefordert wurde, meine Anteilnahme für die Opfer zu zeigen, in dem ich Kerzen ins Fenster stelle. Andere verlangten, meiner Sorge um die Welt Ausdruck zu verleihen, in dem ich meine Unterschrift unter einen Brief an Joschka Fischer setze.

Auch die Mails, die mich aus Amerika erreichten, zeigen ein weites Panorama von Reaktionen. Ein Verwandter schickte mir das jpg-Gemälde eines weinenden amerikanischen Adlers vor den brennenden Türmen. Und legte noch einen drauf, in dem er mir einen ziemlich unsäglichen „Tribute to the USA“ sandte, des Inhalts, dass die USA zwar immer allen geholfen hätten, ihnen aber nie jemand zu Hilfe eilen würde. Der Text stammte, was verschwiegen wurde, von 1973 und war schon damals etwas peinlich.

Von aktueller Peinlichkeit ist die Mail eines New Yorker Freundes, der von den rechten TV-Evangelisten Jerry Falafel und Pat Robertson berichtet, die sich inzwischen anschicken, Bürgerrechtsgruppen, Feministen, Homosexuellen und Vertretern des Rechts auf Abtreibung zumindest eine Teilschuld an den Anschlägen zuzuschreiben, „weil ihre Aktionen Gottes Zorn auf Amerika gelenkt haben“. Gott, Tod und Teufel, so scheint es, sind mal wieder ziemlich oben auf. Auch im Netz. Ein paar Kettenmailaktionen werden das nicht ändern.

THOMAS PAMPUCH

ThoPampuch@aol.com

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen