China entdeckt die Globalisierungskritik

Nach dem Beitritt der Volksrepublik in die Welthandelsorganisation WTO bleiben in Peking große Feiern aus. Nachdem klar wird, wie die Öffnung der Märkte die Bedingungen verändert, klingen die Stimmen sehr differenziert

PEKING taz ■ Es war der größte diplomatische Erfolg Chinas in der Geschichte der Volksrepublik – doch der Jubel blieb aus. Die führende Pekinger Parteizeitung Renmin Ribao druckte lieber einen Titel über Armutsbekämpfung, als mit dem von nun an unausweichlichen Beitritt Chinas in die Welthandelsorganisation (WTO) aufzumachen.

Dabei markiert die Entscheidung eine Zeitenwende. Seit die Unterhändler Chinas und der WTO am Montag in Genf nach 15 Jahren Verhandlungen ein 800 Seiten starkes Beitrittsprotokoll zur Aufnahme Chinas absegneten, steht fest: 1,3 Milliarden Chinesen treten zum Kapitalismus über. Die Globalisierung erreicht eine neue Stufe. Doch statt darin einen historischen Durchbruch zu erkennen, reagieren viele Chinesen zurückhaltend – auch diejenigen, die den WTO-Beitritt lange vorangetrieben haben.

„Das multilaterale Welthandelssystem ist bei weitem kein idyllischen Plätzchen“, kommentiert die Pekinger Wirtschaftszeitung Jingji Ribao. „Aber es ist auch nicht so gefährlich wie ein wildes Tier.“ Der offizielle Tenor hätte vor Jahren noch ganz anders geklungen. Damals applaudierte die Parteipropaganda jedem kleinen Schritt, mit dem sich das Land wirtschaftlich öffnete. Heute gibt es gerade in der wirtschaftspolitischen Diskussion nur noch selten Zensurfälle wie kürzlich bei der Einstellung einer linksorthodoxen Zeitung von Reformkritikern innerhalb der Partei. Diese relative Offenheit im Diskurs aber bewirkt, dass die Globalisierungskritik, wie sie seit der gescheiterten WTO-Ministertagung von Seattle weltweit geläufig ist, China just in dem Moment erreicht, da das Land voll auf Integration in die Weltwirtschaft setzt.

So lernen die Bürger allmählich, was auf sie zukommt. „Sechs große Versprechen zum WTO-Beitritt“, schlagzeilt die populärste Pekinger Tageszeitung Beijing Youth Daily. Es handelt sich um eine ehrliche Aufzählung der chinesischen Zugeständnisse während der Verhandlungen in Genf: Darunter etwa die für viele Bauern möglicherweise geschäftstötende Vereinbarung, dass der Preis landwirtschaftlicher Produkte nur noch mit höchstens 8,5 Prozent subventioniert werden darf.

An diesem Punkt werden sich viele Chinesen erstmals der Gefahren der Globalisierung bewusst. Bisher galt immer: Je schneller sich das Land öffnet, desto reicher wird es. Zwanzig Jahre ging das gut. Doch spätestens mit der Einfuhr billiger landwirtschaftlicher Produkte aus dem Westen wird es jede Menge chinesischer Öffnungsverlierer geben. Betroffen sein werden vor allem die Kleinbauern, die der KP-Führer Deng Xiaoping mit der Landreform in den 70er-Jahren auf seine Seite brachte. Auch das ist neu: Wer einst von den ersten marktwirtschaftlichen Reformen profitierte, droht heute von deren Tempo überfordert zu werden. Das aber diktiert ab sofort die WTO. Das Protokoll liest sich wie ein Hausaufgabenbuch für die chinesische Wirtschaftspolitik.

„Wir müssen uns nun auf den Globalisierungsdruck einrichten“, mahnt deshalb Jingji Ribao. Doch auch unorthodoxe Globalisierungskritiker werden laut: „Die Ungleichheit zwischen Reich und Arm wächst enorm schnell und hat bereits brasilianische Verhältnisse erreicht“, so der Chefredakteur des Intellektuellenblattes Dushu, Wang Hui. Für ihn beginnt mit dem WTO-Beitritt auch die Suche nach einem „alternativen Globalisierungsmodell“ für China. „Danach suchen soziale Bewegungen in aller Welt.“ GEORG BLUME