Dankbarkeit und der Wille zur Tat

Debatte im Bundestag: „Uneingeschränkte Solidarität“ verspricht der Kanzler den USA. Die CDU-Opposition ergänzt: „Wir stehen in der Pflicht“

aus Berlin MATTHIAS URBACH

Je unklarer die Situation, desto entschlossener die Bekenntnisse. So kann man die gestrige Debatte des Bundestages zur Terrorbekämpfung umschreiben. Sprecher von Regierung und Opposition suchten sich gegenseitig in staatsmännischer Pose und Liebe zu Amerika zu übertreffen. Entsprechend deutlich stimmte der Bundestag einem gemeinsamen Antrag von SPD, Grünen, Union und FDP zu, der die „uneingeschränkte Solidarität“ mit den USA im Kampf gegen den Terrorismus betont und dazu auch die „Bereitstellung geeigneter militärischer Fähigkeiten“ zählt. Der Antrag erhielt 565 von 611 Stimmen. Die PDS stimmte mit 35 Stimmen geschlossen dagegen. Vier Gegenstimmen bei den Grünen, eine bei der SPD. Sechs Abgeordnete enthielten sich.

Damit erreichte die Bundesregierung anders als beim Votum für den Mazedonien-Einsatz eine eigene Mehrheit. Bei den Sozialdemokraten hatten Regierung und Fraktionsführung die verbreiteten Zweifel im Vorfeld erfolgreich zerstreut. So wurde am Dienstagabend in der Fraktion berichtet, Signale aus Washington deuteten auf ein breit abgestimmtes und eher gezieltes militärisches Vorgehen hin. Ausschlaggebend für die Skeptiker war schließlich, dass es vor einem konkreten Einsatz deutscher Truppen in jedem Fall eines weiteren Beschlusses des Bundestages bedarf. Der Kanzler gab sich dann Mühe, in einer so staatsmänisch getönten wie ruhig-entschlossenen Rede auf die besorgten Genossen wie auf grüne Skeptiker einzuwirken. Es gehe um „uneingeschränkte Solidarität“, sagte Gerhard Schröder in seiner Regierungserklärung. „Zu Risiken, auch im Militärischen, ist Deutschland bereit, zu Abenteuern nicht.“ Ein Satz, der in Gesprächen der Abgeordneten später oft wiederholt wurde.

„Wir werden unter keinen Umständen den Rechtsstaat einschränken oder gar abschaffen, um den Terror zu bekämpfen“, fuhr der Kanzler fort. Auch dürfe der Terrorismus „uns nicht daran hindern, ein modernes Zuwanderungsgesetz zu beschließen“. Eine klare Absage an die Union.

Die Debatte geriet dann zu einer Arie der Dankbarkeit. Der Kanzler hatte den Ton vorgegeben: „Gerade hier in Berlin werden wir Deutschen niemals vergessen, was die Vereinigten Staaten für uns getan haben.“ Dankbarkeit, schränkte er dann ein, sei zwar eine wichtige Kategorie, nur reiche sie nicht „zur Legitimation existenzieller Entscheidungen“. Eine weitere Beruhigungspille für die Regierungsfraktionen.

Solche Zurückhaltung kennt die Union nicht. „Wir Deutschen stehen in der Pflicht, ein Teil der Solidarität zurückzugeben, die wir insbesondere von Amerika in über fünfzig Jahren erfahren haben“, erklärte Fraktionschef Friedrich Merz. „Dies ist nicht die Zeit für ein ‚Ja, aber‘.“ Er rechnet fest mit militärischen Operationen und bot deshalb dem Kanzler pathetisch eine „nationale Allianz der Entschlossenheit an“. Das klang fast wie ein Freibrief.

Auch FDP-Parteichef Guido Westerwelle sprach vom Ende des Parteienstreits. Westerwelle erging sich ebenso in Dankbarkeitsbekundungen wie CSU-Landesgruppenchef Michael Glos, der bereits in der Kritik am US-Präsidenten George Bush einen antiamerikanischen Akt sieht.

Nicht einmal die PDS wollte gestern als unamerikanisch gelten. „Es ist nicht unsolidarisch oder unamerikanisch“, sagte Fraktionschef Roland Claus, „wenn sich die PDS-Fraktion entschieden hat, den Nato-Ratsbeschluss nicht mitzutragen.“ Es müsse aber erlaubt sein, sich dem Vorrang des Militärischen zu entziehen.

Am fulminantesten formulierte Innenminister Otto Schily (SPD): Der aufrechte Gang der Amerikaner, der „american spirit“, solle „Vorbild für uns“ sein, so Schily. „Wir sollten von unserem Hang zum Pessimismus Abschied nehmen: Mit Entschlossenheit und Festigkeit werden wir den Kampf gegen den Terrorismus gewinnen.“ Markige Worte fand er auch zur inneren Sicherheit – unter tosendem Beifall der Union, während sich mancher Sozialdemokrat zeitweise an den Kopf fasste und auch viele Grüne nur zögerlich Beifall spendeten. Der staatsmännische Kanzler beobachtete seinen scharfen Minister mit fröhlicher Miene. So was nennt man Arbeitsteilung.

Einen etwas leiserenTon schlug Kerstin Müller für die Grünen an: „Es wird lange dauern, bis wir alle wirklich begreifen, was da geschehen ist.“ Doch sah auch sie überwiegend Chancen in einem klaren – im Zweifel auch militärischen – Beistand für die USA. „Wir können uns nicht wegducken, weil der Angriff auch uns galt“, sagte Müller. Der Bündnisfall löse im Übrigen noch keinen Automatismus aus. Durch die Teilnahme am internationalen Kampf gegen den Terror gebe es nun „eine historische Chance“ für neue Allianzen gegen Elend und Hunger.

So bewegte sie zwei zuvor skeptische grüne Abgeordnete dazu, doch noch dem gemeinsamen Antrag zuzustimmen. Was freilich nichts daran ändert, dass die Grünen dem Einsatz militärischer Mittel gegen die Terroristen zustimmten. Ein weiterer schwieriger Schritt für die Partei. Gerhard Schröder hatte Grund, Kerstin Müller zu gratulieren.

Und nach der Debatte beschloss das Kabinett dann konsequent ein Drei-Milliarden-Mark-Paket für Maßnahmen der inneren und äußeren Sicherheit.

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