auf augenhöhe
: Religiöses Sendungsbewusstsein

Kirchen funken mobil

Der Ablasshandel garantierte noch eine verlässliche Rendite. Nun ist das frühe 16. Jahrhundert längst vorbei, und moderne Pfarrer beweisen – in Zeiten vermehrter Austritte, mithin sinkender Kirchensteuereinnahmen – endlich Mut zur Innovation. Sie installieren Mobilfunkanlagen auf Berlins Kirchtürmen – gegen eine angemessene Gebühr, versteht sich.

In Lichterfelde denkt zurzeit die katholische St.-Annen-Gemeinde darüber nach, eine UMTS-Antenne 35 Meter über Straßenniveau neben das Nest der Turmfalken zu stellen. Will man nun vorschnell gratulieren ob dieser völkerverbindenden Entscheidung, sei angemerkt: Richtig sicher ist sich der Kirchenvorstand unter Pfarrer Markus Brandenburg noch nicht. Man höre ja von gesundheitlichen Gefahren. Auf keinen Fall wolle man ohne Diskussion mit der Gemeinde Fakten schaffen.

Also trafen sich St. Annens Schäfchen im Gemeindehaus, und natürlich kamen sie, die Einwände kleinlicher Bedenkenträger: Eine Frau betet morgens mit Blick auf den Kirchturm und findet es pervers, dass ihr künftig eine Antenne entgegenstrahlen soll. Eine andere fühlt sich als Versuchskaninchen missbraucht. Rentner denken pragmatisch: „Und wer bezahlt die Antenne und den Strom?“ Siemens natürlich. Und nicht nur das. Der Konzern bietet satte 10.000 Mark im Jahr für den Betrieb dreier kleiner Funkanlagen, die mit einer Leistung von zehn Watt hinter formschönen Fiberglasverkleidungen hervorsenden. Der Kirchenvorstand will Ende des Monats über das Angebot abstimmen.

St. Annen wäre nicht die einzige Gemeinde in Berlin, die mobile Kommunikation zu Geld macht. Eine genaue Zahl kann das katholische Bistum allerdings nicht nennen. Beschämtes Schweigen ob der noch zögernden 120 Gemeinden? Hubertus Kokoschka aus der Bauabteilung des Bistums bekommt jährlich nur „zwei bis drei Anträge auf den Tisch“ – ein Beleg für fortschrittsfeindliche Lethargie. Nicht viel besser sieht es bei der evangelischen Kirche aus. Zwischen 30 und 50 Türme seien inzwischen antennenbewehrt, schätzt man in der Bauabteilung. Bei 303 möglichen Standorten eine gleichfalls blamable Zahl.

Daher unser betriebswirtschaftlicher Rat an die Gemeinde St. Annen: Lassen Sie sich das Geschäft nicht durch zweifelnde Nachbarn („Sind dit nun ionisierende Strahlen oda nich?“) vermiesen. Auch die 30 Kinder in der benachbarten Tagesstätte freuen sich auf Siemens-finanziertes Spielzeug. Wie steht es im Schaukasten vor dem Pfarrhaus: „Die Liebe der Menschen lebt von gütigen Worten.“ Kluge Kirche, die weiß, dass nicht nur die Liebe von Worten lebt. ULRICH SCHULTE