„Eichel stellt Peinliches zur Schau“

Steuererhöhung als Augenwischerei: Die Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik wirft Bundesfinanzminister Hans Eichel fehlenden ökonomischen Sachverstand und falsche Schwerpunktsetzung vor. Sondermemorandum in Berlin vorgestellt

von BEATE WILLMS

Als „peinliche Zurschaustellung fehlender finanzpolitischer Kompetenz“ hat die Gruppe Alternative Wirtschaftspolitik die von Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) angekündigten Steuererhöhungen zur Finanzierung eines Anti-Terror-Pakets bezeichnet. Dabei sei derzeit ökonomischer Sachverstand gefragt, erklärten die Experten gestern in Berlin. Geklärt werden müsse, wie eine Weltwirtschaftskrise als Folge der Terroranschläge mitten im Konjunkturabschwung abgewendet werden kann. Die Arbeitsgruppe bot sich als beratende Instanz an. In einem Sondermemorandum entwickelt sie Maßnahmen, die die Risiken auch für die Bundesrepublik beherrschbar machen sollen.

„Mir ist unverständlich, wie sich der stets um den Eindruck von Seriosität bemühte Finanzminister zu einer so abenteuerlichen Ad-hoc-Aktion hat hinreißen lassen“, sagte Rudolf Hickel, Finanzwissenschaftler an der Universität Bremen. Mit den in Aussicht gestellten drei Milliarden Mark werde der Bevölkerung suggeriert, dass die Konsequenzen der Anschläge „billig“ würden. Für den Golfkrieg beispielsweise habe der Bund knapp 20 Milliarden Mark aufwenden müssen. Zur Finanzierung der absehbaren weiteren Kosten stehe nun offenbar eine höhere Nettokreditaufnahme an.

„Das bedeutet, dass Eichel zur Kriegsfinanzierung auf ein Instrument zurückgreifen wird, das er zur Stabilisierung der Konjunktur ablehnt“, sagte Norbert Reuter, Ökonom an der RWTH Aachen. Das sei falsche Schwerpunktsetzung. Denn um zu vermeiden, dass aus der gegenwärtigen Stagnation eine schwerere Wirtschaftskrise wird, müssten jetzt gerade dieses öffentliches Investitionsprogramm und eine expansive Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) her. Dazu könne man kurzfristig auch höhere Schulden in Kauf nehmen. Mittelfristig brauche man aber eine alternative Steuerpolitik, wie sie schon im Memorandum 2001 entwickelt worden sei.

Die Arbeitsgruppe schätzt, dass sich die „rezessive Tendenz der Weltwirtschaft“ schon in den letzten Monaten verstärkt hatte. Auch der Einbruch an den internationalen Börsen sei nicht nur den technischen und psychologischen Folgen der Anschläge zuzuschreiben. „Eine große Rolle spielen die Erwartungen, dass der private Konsum zurückgeht“, so Hickel. Denn dieser sei vor allem durch Spekulationsgewinne finanziert worden. Auch die Realwirtschaft habe mit den Auswirkungen der Börsenkrise zu kämpfen: Junge Unternehmen haben kaum Chancen, sich über den Börsengang zu finanzieren.

„Unter den derzeitigen Bedingungen, also ohne Konjunkturprogramm, ist für die Bundesrepublik selbst die durchschnittliche Prognose von einem Prozent Wirtschaftswachstum nicht haltbar“, erklärte Reuter. Die Binnenwirtschaft sei noch nicht tragfähig genug, um die zu erwartenden Rückgänge beim Export durch die Probleme in den USA und die Aufwertung des Euro aufzufangen.

Trotzdem sind die Alternativen Wirtschaftswissenschaftler guter Hoffnung, dass es nicht zu einer Weltwirtschaftskrise wie im vorigen Jahrhundert kommt: Dabei sehen sie ausgerechnet in der US-amerikanischen Geldpolitik eine Verbündete, die sich die letzten Jahre sehr an der Vormachtstellung des Dollars orientierte. „Die spontanen Zinssenkungen und Liquiditätsspritzen von Fed, EZB sowie den Notenbanken Englands, der Schweiz und Japan sind vorbildlich für eine Koordination, die die Krise beruhigen kann“, sagte Hickel. Diese Zusammenarbeit wäre allerdings auch von der allgemeinen Politik zu übernehmen.