„Rache muss man kalt genießen“

US-Militärexperte und Ex-Offizier Ralph Peters fordert den Kampf gegen den Terror in einer Radikalität, die Präsident Bush geradezu sanft erscheinen lässt. Doch er warnt vor Luftangriffen, die nur die unterdrückte Bevölkerung träfen

taz: Herr Peters, Sie kritisieren schon seit Jahren die US-Verteidigungsstrategie. Die USA dürften nicht Kriege nach Regeln vergangener Jahrhunderte führen, weil die Gegner die Regeln weder kennen noch beachten. Wie sollten die USA jetzt auf den Terror-Angriff reagieren?

Ralph Peters: Die größte Herausforderung für die Regierung wird sein, einen strategischen Wutanfall zu vermeiden. Rache ist eine Mahlzeit, die man kalt genießen muss.

Was bedeutet das?

Statt einer Serie aufwendiger Luftschläge, die unterdrückte Bevölkerungen treffen und den Wüstensand aufwirbeln, müssen wir uns auf einen lebenslangen, nie nachlassenden Kampf gegen die Terroristen einstellen.

Ist dieser Kampf ein Krieg?

Es ist ein genuiner Krieg, jedoch mit neuen Konturen und Dimensionen. Und er wird sehr schwierig auszukämpfen sein. Ein fataler Fehler, den wir gemacht haben, ist, dass wir den Terroristen die Initiative überlassen haben. Wir müssen jetzt die Initiative ergreifen und behalten. Unsere Verfolgung der Terroristen und ihrer Helfer, ganz gleich ob sie Individuen oder Regierungen sind, muss erbarmungslos und ohne Kompromisse sein. Sie dürfen nicht die Gelegenheit bekommen, sich zu reorganisieren. Wir dürfen nicht zögern, nur weil der Konzern x Investitionen im Staat y hat. Nicht selten haben kleinkarierte Interessen die größeren, wichtigeren Interessen überdeckt.

Was muss Ihrer Meinung nach mit den Drahtziehern der Selbstmordattacken geschehen, falls sie gefunden werden?

Langwierige Gerichtsverfahren sollten wir vergessen. Man kann nicht Bin Laden und anderen Terroristen seiner Sorte einen Strafzettel geben. Sie müssen eliminiert werden. Behalten wir sie lange in Haft, wird das wieder zu Entführungen von Flugzeugen und anderen terroristischen Akten führen, um sie zu befreien. Wenn wir sie nicht eliminieren, werden sie uns töten.

Sie zu töten wird jedoch wieder Gegengewalt auslösen.

Aber je härter und je länger wir gegen die Extremisten vorgehen, desto schwächer werden sie. Sie werden uns angreifen, egal was wir machen. So ist es vorzuziehen, sie zuerst zu eliminieren. Ein toter Terrorist kann sich nicht mehr schlecht benehmen.

Schon 1999 haben Sie geschrieben, die USA müssten sich auf Aggressionen vorbereiten, die sie zu Hause herausfordern und töten werden, und ihre Strategie ändern. Wie hat das militärische und politische Establishment reagiert?

Unterschiedlich. Die Marine-Corps haben es angenommen, auch Teile der Armee. Aber die höheren Ränge können sich nicht von der Vorstellung trennen, dass Panzer die einzige Antwort sind. Die Luftwaffe ist völlig dagegen, die Flotte diskutiert. Allerdings glaube ich, dass die Tragödie am 11. September Veränderungen beschleunigen wird.

Müssen sich auch die Geheimdienste verändern?

Ja. Die britischen sind die effizientesten. Sie sehen die Bedeutung des Undercover-Agenten. Dies ist in Amerika nicht der Fall. Mit einem jährlichen Etat von 30 Milliarden Dollar sollten wir viel mehr leisten können. Wir verlassen uns viel zu viel auf technische Maßnahmen, und dafür bezahlen wir jetzt. Diese Überschätzung der Technologie ist aber systemkonform. Die großen Konzerne, die Milliarden Dollar schwere Satellitensysteme bauen, haben eine sehr effiziente Lobby im Kongress, denn sie schaffen Arbeitsplätze in den Wahlkreisen.

Sie unterscheiden in Ihren Veröffentlichungen verschiedene Typen künftiger Konflikte. Gehört der Angriff auf die USA am 11. September zu einem interkulturellen Konflikt?

Ja. Wieso können wir nicht ehrlich sein? Wir versuchen so zu tun, als seien alle Kulturen gleichwertig. Aber sind Gesellschaften, die Frauen einer monströsen Unterdrückung aussetzen, die extreme religiöse Intoleranz ausüben, die sich im Hass und in Beschuldigungen austoben und die Taten der Terroristen feiern, wirklich mit der westlichen Zivilisation zu vergleichen? Dann können wir auch behaupten, dass das Dritte Reich und der Stalinismus der englischen Demokratie gleichwertig waren. Diese Terroristen sind nicht daran interessiert, ein Kalifentum oder ein Reich Gottes auf Erden zu bauen. Sie wollen unsere Vernichtung.

Meinen Sie mit „unsere Vernichtung“ auch die Europäer?

Ja. Europäische Gesellschaften werden auch angegriffen werden, früher oder später. INTER VIEW: LISBETH WEIHE-LINDEBORG