Das Glossar zur Globalisierung

Seattle, Göteborg, Weltbank, Attac oder Tobin-Steuer: Stich- und Zauberworte zur Kritik am Neoliberalismus

von KATHARINA KOUFENund CONSTANTIN VOGT

Agrarsubventionen gelten für viele Globalisierungskritiker als eines der besten Beispiele für die Einseitigkeit, mit der die Industrieländer die Liberalisierung des Welthandels vorantreiben wollen. Während die Entwicklungsländer ihre Märkte für subventionierte EU-Agrarprodukte öffnen sollen, behalten sich vor allem die Europäische Union und die USA Schutzzölle vor.

Attac ist der größte Zusammenschluss von Globalisierungskritikern. In 26 Ländern haben sich Menschen und Organisationen dem Bündnis angeschlossen. Attac ist die französische Abkürzung für „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen“. Attac richtet sich gegen die soziale Ungleichheit und gegen eine Globalisierung, die sich nur an Wirtschaftsinteressen orientiert. Infos: www.attac-netzwerk.de.

Chao, Manu, Frankohispanier, ist der Barde der Globalisierungskritiker.

Davos ist ein teurer Wintersportort in der Schweiz, in dem alljährlich im Januar das World Economic Forum (WEF) stattfindet, ein informelles Treffen von Unternehmern, Managern und Politikern.

Deregulierung meint die Abschaffung von Gesetzen, die den ungehinderten Austausch von Waren, Dienstleistungen und Kapital erschweren.

Devisen ist ein anderes Wort für Fremdwährung. Es wird auch als Synomym für Dollar gebraucht.

Exportorientierung ist das Credo der neoliberalen Wirtschaftslehre.

Finanzmärkte nennt man zusammenfassend die Märkte, auf denen Geld, Aktien und Anleihen gehandelt werden.

Global Governance meint „Weltregierung“, die ein politisches Gegengewicht zur wirtschaftlichen Globalisierung bilden sollte. Ideen wie ein Weltparlament sind aber momentan utopisch.

Global Goods, Global Player nennt man Produkte beziehungsweise Produzenten, die überall auf der Welt vertreten sind. Beispielsweise Coca-Cola und McDonald’s.

Göteborg, schwedische Stadt, in der es beim EU-Gipfel im Mai 2001 zu schweren Ausschreitungen zwischen Globalisierungskritikern und der Polizei kam. Ein Demonstrant wurde durch Schüsse schwer verletzt.

GATT ist das allgemeine Zoll- und Handelsabkommen, das 1995 von der Übereinkunft über die WTO (Welthandelsorganisation) abgelöst wurde.

G 7/G 8 bezeichnet das Treffen der sieben (wirtschaftlich) beziehungsweise acht (politisch) wichtigsten Industriestaaten: USA, Japan, Deutschland, Frankreich, Italien, Großbritannien, Kanada plus Russland.

Genua steht für Protest gegen die Globalisierung einerseits sowie für irrsinnige Abschottung der Gipfelteilnehmer andereseits, seit hier im Juli 2001 150.000 Menschen gegen den G 8 demonstrierten und ein Demonstrant von einem Polizisten getötet wurde.

Globalisierungskritiker legen Wert darauf, nicht als Globalisierungsgegner zu gelten. Sie lehnen nicht die Globalisierung per se ab, sondern die neoliberale Philosophie, mit der sie durchgesetzt wird.

Genoa Social Forum war die Gegenveranstaltung zum G-8-Gipfel in Genua. Siehe auch www.genoa-g8.de.

Giuliani, Carlo, 23, wurde während einer gewalttätigen Demonstration gegen den G-8-Gipfel in Genua von einem Polizisten erschossen.

HIPC II heißt die Initiative zum Schuldenerlass für die hoch verschuldeten ärmsten Entwicklungsländer (Highly Indebted Poor Countries), die auf dem Kölner G-8-Gipfel 1999 beschlossen wurde. Siebzig Milliarden Dollar sollen den Ländern erlassen werden, teils aus Schulden bei den Regierungen der Industriestaaten, teils beim Internationalen Währungsfonds. Kritiker fordern einen umfassenderen Erlass.

Indymedia ist eine unabhängige Medienplattform im Internet. Eines der Sprachrohre für Globalisierungskritiker mit vielen Informationen über die Globalisierung und die Bewegung. Mehr dazu: www.indymedia.org.

Internet ist das Informationssystem, das seit 1993 existiert und den schnellen Austausch von Informationen und Kapital weltweit ermöglicht. Es ist die wichtigste technische Grundbedingung der Globalisierung.

IWF ist die Abkürzung für Internationaler Währungsfonds, der ursprünglich die Stabilität der Wechselkurse fördern sollte. 182 Mitgliedsländer stellen Kapital zur Verfügung und können sich im Gegenzug beim Fonds Geld leihen. Der IWF wird kritisiert, weil er Entwicklungsländer als Bedingung für Kredite zu bestimmten Wirtschaftsreformen (siehe Strukturanpassungsprogramme) zwingt.

Kapitalmarktkontrollen sollen den freien Verkehr von Geld, Aktien, Anleihen einschränken. Vor allem kurzfristig zu spekulativen Zwecken angelegtes Geld soll so in nachhaltige Investitionen umgelenkt werden.

Katar ist ein Staat auf der Arabischen Halbinsel, wo vom 9. bis 13. November das nächste Treffen der Welthandelsorganisation (WTO) stattfinden soll.

Komparative Kostenvorteile lautet die Forderung der Neoliberalen, nach der jedes Land produzieren und exportieren soll, worin es Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen Ländern hat.

Liberalismus, Neoliberalismus ist die Wirtschaftstheorie, nach der ein möglichst freier Markt zu Wohlstand führt, während staatliche Eingriffe wie Mindestlöhne oder Höchstpreise den volkswirtschaftlichen Wohlstand mindern.

Maastricht-Kriterien bezeichnen drei Stabilitätsbedingungen (Inflationsrate, Neuverschuldung, Schuldenstand) für die EU-Länder, die der Eurozone beitreten wollen.

Multis ist die saloppe Abkürzung für multinationale Konzerne wie beispielsweise Shell oder DaimlerChrysler.

New Economy ist die Chiffre für den modernen Kapitalismus, der auf dem Internet, der zunehmenden Finanzierung von Firmen über die Börsen sowie der Deregulierung basiert.

NGO ist die englische Abkürzung für Nichtregierungsorganisation.

Offshorezentrum: „Steuerparadies“.

Porto Alegre ist eine Stadt im Süden von Brasilien, wo im Januar 2001 das World Social Forum (WSF) als Gegenveranstaltung zum World Economic Forum in Davos stattfand. 4.700 NGO-Delegierte nahmen teil.

PRGP heißt Poverty Reduction Strategy Paper. Gemeint ist der neueste IWF-Kredit für Entwicklungsländer, der erstmals nicht nur an Wirtschaftsreformen gekoppelt ist, sondern auch an einen Armutsbekämpfungsplan, den das Schuldnerland selbst entwerfen soll.

Prag – hier fand letztes Jahr die Herbsttagung von Weltbank und IWF statt, gegen die dort fünfzehntausend Globalisierungskritiker demonstrierten.

Privatisierung gehört zu den liberalen Rezepten, mit denen die Ausgaben und die Verschuldung des Staates gesenkt sowie die Effizienz der bis dahin öffentlichen Einrichtungen gesteigert werden sollen.

Protektionismus meint das Bestreben einzelner Länder oder Regionen, ihre Märkte etwa durch Zölle oder bestimmte Auflagen (Mindeststandards) vor ausländischer Konkurrenz zu schützen.

Schuldenerlass siehe HIPC II

Schwarzer Block bezeichnet eine Gruppe gewaltbereiter Autonomer, die die Konfrontation mit der Polizei suchen.

Seattle gilt als Geburtsstunde der Bewegung der Globalisierungsgegner. In Seattle verhinderten Demonstranten im Jahre 2000 unter anderem, dass die Teilnehmer am WTO-Treffen das Konferenzgebäude betreten konnten.

Shareholder Value steht für das Konzept, den Wert der Aktie zum Leitmotiv für Unternehmenspolitik zu machen – und nicht die Belange der Mitarbeiter.

Spekulanten kaufen oder verkaufen Währungen oder Wertpapiere in der Hoffnung auf in naher Zukunft steigende Kurse. Wenn sich Spekulanten abstimmen und gleichzeitig – zum Beispiel auf die Abwertung einer Währung – „wetten“, können sie damit ganze Volkswirtschaften unter Druck setzen.

Steuerparadiese nennt man Staaten, die nur geringe oder keine Steuern auf Kapitalanlagen erheben. Daher sind sie Zufluchten für Reiche, die ihr Geld im eigenen Land nicht versteuern wollen.

Strukturanpassungsprogramme nennt man die Wirtschaftsreformen, die der IWF Entwicklungsländern für bestimmte Kredite verschreibt. Dazu gehören die Privatisierung staatlicher Betriebe wie Telefongesellschaften, die Abschaffung von Subventionen und die Öffnung der Kapitalmärkte.

Tobin-Steuer, benannt nach dem US-Ökonomen und Nobelpreisträger James Tobin. Danach sollen alle Devisengeschäfte an den Börsen mit einer Abgabe von 0,1 Prozent belegt werden. Die Steuer soll Spekulanten abschrecken und die Börsen sowie die Wechselkurse stabilisieren. Die Einführung der Tobin-Steuer ist eine der Hauptforderungen von Attac. Zurzeit wird sie auch auf Regierungsebene (in Deutschland und Frankreich) diskutiert. Tobin selbst beschwerte sich kürzlich in einem Interview, sein Name werde von den Globalisierungskritikern missbraucht.

TRIMS, die Abkürzung für Trade-Related Investment Measures, bezeichnet das Übereinkommen über handelsbezogene Investitionsmaßnahmen, die ausländische Investoren diskriminieren könnten und nicht sollen, etwa mit Vorschriften über Mindestfertigungsanteile, die der ausländische Investor in dem betreffenden Land herstellen muss.

TRIPS ist das Kürzel für Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, das Abkommen der Welthandelsorganisation über den Schutz geistigen Eigentums im Freihandel. Besonders umstritten ist hierbei der Patentschutz für biologische Ressourcen (Saatgut).

WEF siehe Davos.

WSF siehe Porto Alegre.

WTO ist die Abkürzung für die Welthandelsorganisation. Sie schafft völkerrechtlich verbindliche Regeln für den internationalen Handelsverkehr, hat 142 Mitglieder und wird vor allem deshalb kritisiert, weil sie den totalen Freihandel propagiert, von dem auch Nahrungsmittel oder Patente auf Erbgut nicht ausgenommen werden.

Weltbank ist eine multilaterale Bank, die langfristig staatlich gestützte Entwicklungsprogramme finanzieren soll. Sie wird vor allem deshalb angegriffen, weil sie Kredite auch für sozial und ökologisch bedenkliche Projekte vergibt.

KATHARINA KOUFEN, 30, ist taz-Wirtschaftsredakteurin, CONSTANTIN VOGT, 21, ist Hospitant im taz-Ökologie- und Wirtschaftsressort