„Liebe taz...“ Grüne Polarisierungsversuche

betr.: „Terroranschläge auf die USA“, taz-bremen vom 16. September 2001

Den Versuch des Goethe-Theaters, ein Forum jenseits politischer Verlautbarungen zum Thema Terroranschläge in den USA anzubieten, finde ich sehr begrüßenswert. Zeigte sich doch in der Debatte, wie groß das Bedürfnis der meisten Anwesenden war, mehr Klarheit zu erlangen angesichts eines diffusen Bedrohungsgefühls, welches wohl sehr viele Menschen in diesen Tagen erfasst hat. Als umso unangebrachter habe ich die Polarisierungsversuche einiger grüner Politiker empfunden, die vorher geäußerte Gedanken als Lüge verunglimpft haben. Dies und der Versuch einem Diskussionsforum seinen parteipolitischen Stempel aufzudrücken, gehört in den politischen Raum von Parlamentsdebatten. Genau diesem Tenor hatte ich gehofft, auf der Veranstaltung NICHT zu begegnen.

Es muss auch in der brisantesten weltpolitischen Lage erlaubt sein, öffentlich über ALLE möglichen Ursachenkomplexe nachzudenken, die zu dieser Katastrophe geführt haben könnten. Dazu gehört auch, die weltweite Rolle der USA in den letzten 50 Jahren zu reflektieren und welche Bedeutung sie zur Erklärung der Ereignisse beiträgt. Das hat mit angeblich unpassenden Vergleichen nicht das geringste zu tun und verhindert in keiner Weise das Andenken an die unschuldigen Opfer - ganz im Gegenteil.

Es muss weiterhin erlaubt sein zu fragen, warum die Weltöffentlichkeit auf DIESES Ereignis so ganz anders reagiert als auf vorherige Katastrophenszenarien; und die Antwort auf diese Frage erschöpft sich sicher nicht in dem Hinweis, dass erstmals „nur“ Zivilisten Opfer einer Attacke geworden sind. Im Golfkrieg und in allen Kriegen des 20. Jahrhunderts hat es Millionen „ziviler“ Toter gegeben und das durchaus kalkuliert.

Und es muss vor allem erlaubt sein, zivile und militärische Kriegstote einerseits und Terroropfer andererseits als das gleiche Ergebnis bestimmter Prozesse im Netzwerk menschlichen Zusammenlebens zu begreifen, nämlich als Folge von Machtpolitik. Und das selbst dann, wenn man der Auffassung wäre, dass die Welt ohne Machtpolitik nicht auskommen könne. Krieg und Gewalt sind aber nicht länger die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln, mithin quasi legitimiert. Diese Auffassung sollte nach den Erfahrungen des 20. Jahrhunderts und erst recht nach den jüngsten Ereignissen mit ihrer tatsächlich vorhandenen impliziten Gefahr der Gewalteskalation vollends obsolet geworden sein. In einer solchen Situation regierungsamtlich von Vergeltung, Rache, Auslöschung des Feindes, Kreuzzug etc. zu reden, scheint ein strukturelles Phänomen der politisch-militärischen Gewaltausübung zu sein.

Diskussionsforen, die diesen Fragen ohne Vorverurteilung und ohne Selbstdarstellungsversuche Raum geben, wünsche ich mir mehr! Dorothea Becker