In der Theorie nicht vorgesehen

Eigentlich sollte es eine Einweihung sein wie immer. Aber nach den Attentaten wollte sich die neue Bundesgeschäftsstelle des Berufsverbands Deutscher Psychologen nicht damit begnügen. Sabine Otten über Ausgrenzungen als Folge von Terrorangriffen

Interview FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Nach den Attentaten in den USA hat die CDU das Thema Sicherheit als Wahlkampfwaffe entdeckt. Sind mit der Angst der Bürger Stimmen zu gewinnen?

Sabine Otten: Das steht zu befürchten. Zumindest kenne ich Zahlen aus den USA, wonach zur Zeit eine große Mehrheit eine Einschränkung der individuellen Grundrechte für das Produkt „mehr Sicherheit“ befürwortet. Viele fänden es durchaus okay, wenn es mehr Personenkontrollen gäbe und unter Umständen auch ihr Telefon abgehört würde. Solche Vorgehensweisen, die normalerweise als Angriff gegen demokratische Werte empfunden würden, finden jetzt eine hohe Akzeptanz.

Sie beschäftigen sich schon lange mit dem Verhalten von Gruppen. Überraschen Sie die Reaktionen nach den Attentaten?

Vieles ereignet sich tatsächlich so, wie wir es im kleinen Rahmen des Labors nachstellen können: Der Zusammenschluss von Gruppen unter Bedrohung, erhöhte Akzeptanz von Führungspersonen und gleichzeitig stärkere Ablehnung nach außen. Aber diese Prozesse haben wir natürlich nie in diesem Umfang untersuchen können – oder wollen. Etwas anderes sind die Attentate. Dass jemand aufgrund der massiven Identifikation mit einer Gruppe einen solchen Terroranschlag ausübt, haben diese Theorien nicht vorgesehen.

Warum reagieren einige jetzt auch feindselig gegenüber Menschen, die mit den Attentätern gar nichts zu tun haben?

Einerseits ist das „Wer sind wir?“ nach innen immer unspezifischer geworden. Das heißt zum Beispiel, dass politische Orientierungen in den Vereinigten Staaten unwichtiger erscheinen oder dass sich Gesamteuropa solidarisiert. Andererseits wird auf der Ebene der „anderen“, der Gegner, genauso pauschalisiert. Deshalb haben wir die Vereinfachung „der Islam“, deshalb sprechen viele von „der arabischen Welt“ als solcher. In den USA werden US-Bürger arabischer Herkunft angegriffen, und auch in Deutschland fühlen sich Leute mit arabischem Hintergrund bedroht. Ich denke, dass es jetzt eine wichtige Aufgabe ist, genau zu unterscheiden.

Wenn es eine Besonnenheitsskala gäbe – wo würden Sie die Reaktionen der Politiker ansiedeln?

Zum einen gab es bei den einflussreichen politischen Köpfen früh den Appell, besonnen zu sein und nicht zu generalisieren. Auf der anderen Seite denke ich, dass wenig Vorsicht in den Blankosolidaritätsversprechen ist, die USA „in welcher Form auch immer“ zu unterstützen. Da würde ich wenig Besonnenheitspunkte vergeben. Ich glaube, dass ein solches Versprechen eine innere Diskussion ausschließt, in der man darüber nachdenken kann, welche Form der Reaktion korrekt ist.

War die Berichterstattung nach den Attentaten angemessen? Oder hat sie den Konflikt noch verschärft?

Aus meiner Sicht waren die Berichte angemessen. Es gab ja ein sehr großes Informationsbedürfnis. Was ich bedenklich fand, war die Leichtfertigkeit, mit der mit dem Wort „Krieg“ umgegangen wird. Und die Art der Bilder, die gezeigt werden. Jetzt wissen wir, dass die Fotos der tanzenden Palästinenserkinder von 1991 stammen und nachträglich zu der Meldung, dass man dort feierte, gestellt wurden. Daneben gibt es ja Bilder von Palästinenserkindern mit Friedensschildern. Kritische Medien müssen sich bewusst machen, dass sie hier mit ihrer Bildauswahl sehr viel beeinflussen – gerade bei der Polarisierung in die „Guten“ und die „Bösen“.