Immer schön locker bleiben

Golf ist uncool. Jedenfalls die klassische Form des Sports. Die Crossgolf-Szene dagegen spielt ins weite Feld des Trends. Nun wird verbissen in Marktlücken geputtet und um Vermarktungsrechte gestritten

von JÖRG SPANIOL

Von einem „Green“ kann hier nicht die Rede sein. Eher schon von einem „Grey“, einer großen, grauen Schotterfläche. Mitten auf dem leeren Parkplatz der Münchener Messe dreht Stefan Winsel den Schraubdeckel einer Colaflasche um, setzt einen leuchtfarbenen Golfball darauf und schwingt locker durch. „Loch“ Nummer drei, ein kadmiumgelbes Holzschild, macht „plock!“ und ist getroffen. Ein gutes Dutzend Männer zwischen 20 und 40 Jahren zieht weiter, die Schläger locker über die Schultern gelegt. Ein Fernsehteam zieht hinterher. Winsel, der Organisator der Münchener Crossgolfszene, ist Medienpräsenz gewohnt. Crossgolf ist „hip“, und nicht nur das: In den flachen Hallen hinter dem Golf-Parkplatz verkündete eine Jury den Sieger des jährlichen Innovationswettbewerbs der weltgrößten Sportartikelmesse Ispo. In der Kategorie „New Sport“ siegte Crossgolf. Die Medien treiben den Sport schon seit zwei Jahren vor sich her. Man spielt Golf, aber nicht auf dem Golfplatz, sondern auf Industriebrachen oder anderen Trümmergrundstücken, und jeder liebt es.

Von der Welt am Sonntag bis Max reicht die Liste der bisherigen Veröffentlichungen, säuberlich abgelegt auf der Internetseite der „Natural Born Golfers“ (www.naturalborngolfers.com). Die Medienberichte, aber vor allem Internetseiten wie diese sind es, die den Sport groß machen. Der Münchner Crossgolfer Ekkhart Lübke, während der Arbeitszeit Unternehmensberater, sieht das Internet denn auch als Katalysator des Trends: „Es hat schon immer Leute gegeben, die einfach irgendwo in der Landschaft gespielt haben. Aber erst das Internet mit seinen Suchmaschinen und Massen-E-Mails führt dazu, dass die Leute sich auch kennen lernen.“ 350 Adressen umfasst die Münchener Mailingliste, etwa 4.500 sind es bundesweit. In den Chatforen und bei den Treffen herrscht der lockere Ton des Internets. Das „Du“ ist schon beim Erstkontakt selbstverständlich.

„Nieder mit den Clubs!“ fordert ein Forumsbeitrag im Netz, und die Selbstdarstellung der Natural Born Golfers formuliert kämpferisch das Motto „Revolution statt Konvention“ Doch schlichte Rebellion ist nicht das Thema der Köpfe der Bewegung. Der Hamburger Thorsten Schilling, einer der Väter des Freistil-Golfs, stellt klar: „Ich bin keiner, der sagt ‚Clubgolfer sind doof‘. Die Erfahrung lehrt aber, dass es oft einen Mentalitätsunterschied gibt, nennen wir es mal einen anderen Lockerheitsfaktor. Zu uns kommen gelegentlich auch Clubgolfer. Aber die merken dann meist, dass es irgendwie nicht passt, und kommen dann nicht mehr.“

Vor lauter Interessenten am preiswerten Trendsport kommt Schilling selbst nur noch selten zum Spielen. So viele sind es, dass die Hamburger sich entschieden haben, sonntags Kurse abzuhalten – für viele ist der Abschlag auf dem Parkplatz der erste Kontakt mit Ball und Schläger. Thorsten Schilling investiert seine komplette Arbeitskraft in das Crossgolf. Er pflegt die Internetseite und die Medienkontakte. Das Markenzeichen – ein grimmiger Totenschädel mit gekreuzten Schlägern – hat er vor sechs Jahren schützen lassen. Die Nachfrage stimmt, doch noch steht die Dividende aus.

In einem Sport, der seine Anhänger zu einem beachtlichen Anteil aus der Marketing- und Werbebranche rekrutiert, konnte diese ökonomische Nische nicht lange offen bleiben. Den Ispo-Preis nahm denn auch nicht Ur-Crosser Schilling, sondern ein ehemaliger Weggefährte in Empfang. Dem Kieler Sportvermarkter Roland Stegmann war der Hamburger Weg zu unprofessionell. Sein Statement: „Crossgolfer sind keine Anarchos, sondern moderne, offene Leute, die einen geilen Sport betreiben wollen.“ Diesen Ansatz vermarktet Stegmann. „Mittelfristig sehe ich das als eigene Sportart, die neben dem normalen Golf besteht – und als Marktlücke. Je öffentlicher die Sache wird und je mehr Leute mitspielen wollen, desto eher kann man damit auch Geld machen.“

Stegmanns Agentur „x-wayz“ verdient schon jetzt am Trend: Sie organisiert Crossgolf-Turniere als „Incentive-Event“ für Firmen und hat kürzlich einen weichen und damit „sicheren“ Crossgolf-Ball auf den Markt gebracht. Spezielle Schläger und Golfbags sind geplant. Seine Unschuld hat der ehemalige Jux-Sport längst verloren: Die Natural Born Golfers wollen Stegmann gerichtlich daran hindern, Foto- und Filmaufnahmen von ihren Turnieren für sich als Werbemittel einzusetzen. Zudem soll Stegmanns Agentur im letzten Oktober die NBG-Homepage sabotiert haben. Beim Geld hört auch für Crossgolfer die Freundschaft auf.

Die Münchener Querfeldeinschläger stört derlei noch wenig. Auf dem verwaisten Parkplatz des Messegeländes drischt Stefan Winsel seinen Ball vom Erdwall aus auf das nächste Ziel und besinnt sich auf das, was Crossgolfer genau wie ganz normale Clubgolfer empfinden – und höchstens etwas anders formulieren: „Es ist einfach ein orgiastisches Gefühl, wenn der Ball mit einem satten ‚plopp!‘ abfliegt.“

Für den Wunsch, immer besser zu werden, schämt sich auch der Crossgolfer nicht: „Irgendwann ertappt man sich dabei, im Fernsehen Golfturniere anzuschauen und auf die Schlägerhaltung von Tiger Woods zu achten.“ Und ein cooler Mittzwanziger sinniert: „Crossgolf und Clubgolf – das sind zwei Brüder, die auf unterschiedlichen Kontinenten leben.“ Nun wird auch der jüngere der Brüder gerade erwachsen.