22. september 1981
: Tod unterm Bus

Am Morgen des 22. September 1981 hatte der damalige Innensenator Heinrich Lummer (CDU) 8 der über 150 besetzten Häuser räumen lassen. Wie Napoleon nach siegreicher Schlacht, berichteten Augenzeugen, sei er anschließend in der frisch geräumten Bülowstraße 89 aufmarschiert, um der Presse die Ergebnisse der „Kaputtbesetzer“ zu demonstrieren.

Vor dem Haus protestierten mehrere hundert Sympathisanten der Besetzer. Sie wurden von der Polizei auf die Potsdamer Straße in den fließenden Verkehr getrieben. Dort wurde der 18-jährige Klaus-Jürgen Rattay von einem Linienbus erfasst und getötet. Der Bus sei zuvor durch Steinwürfe angegriffen worden, Rattay habe den Bus angesprungen, hieß es von offizieller Seite, auch wenn das kein Augenzeuge bestätigen konnte. Ein Trauermarsch am Abend mit 20.000 Teilnehmern endete in einer Straßenschlacht.

Eine wochenlange Spannung kam zur Explosion. Erst im Mai hatte ein von Richard von Weizsäcker geführter CDU-Minderheitssenat die von Bauskandalen geschüttelte SPD-Regierung abgelöst. Im Juli kündigte die CDU ein „Räumungspaket“ an. Die Besetzer blieben nicht untätig. Tausende diskutierten beim „Tuwat“-Kongress Ende August über Atomkraft, Nachrüstung und Startbahn West. Am 13. September demonstrierten 80.000 gegen den Besuch des US-Außenministers Alexander Haig in Berlin. Nacht für Nacht drängelten sich Hunderte von „Paten“, darunter viele Professoren und Künstler, in den räumungsbedrohten Häusern.

Nach Rattays Tod schien die Lage zunächst unversöhnlicher denn je. Die Hausbesetzer reagierten mit Mahnwachen und Demos. Auch die Gegenseite ging auf die Straße. Selbst Gewerkschaften riefen zur Kundgebung gegen die „Chaoten“. Auch die Besetzer zerstritten sich. Während die einen nun erst recht jedes Gespräch mit dem „Schweinesystem“ ablehnten, plädierte etwa der Besetzerrat Kreuzberg 36 für kiez- oder blockbezogene Handlungsstrategien. Die Politik ließ sich auf die „guten“ Besetzer ein. Im Oktober stimmten die Kreuzberger Bezirksverordneten auf SPD-Antrag für ein halbjähriges Räumungsmoratorium. Andere Bezirke folgten.

Strafrechtlich blieb Rattays Tod ohne Folgen. Zunächst wurde nur gegen ihn wegen „gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr“ ermittelt, später gegen den „Busfahrer und andere“. Anfang Dezember 1981 wurden die Ermittlungen eingestellt. GA