„Wir wollen keine Rache“

Fritz Kuhn will Militäreinsätze nur mit politischem Konzept

taz: US-Präsident Bush hat gerade vor dem amerikanischen Kongress gefordert, sich zu entscheiden – entweder man stehe an der Seite der USA oder der Terroristen. Dazwischen gibt es jetzt nichts mehr.

Fritz Kuhn: Die Grünen stehen an der Seite der USA – als Teil einer internationalen Anti-Terrorismus-Koalition. Aber natürlich mit eigenen politischen Vorstellungen.

Ihre Solidarität mit den USA ist, im Gegensatz zur Erklärung des Kanzlers, nicht uneingeschränkt?

Die Grünen stehen für das Primat der Politik. Ob militärische oder polizeiliche Aktionen – sie sind für uns nur akzeptabel, wenn ein Konzept dahinter steht, das sich um die politische Lösung der Ursachen des Terrorismus bemüht. Eine militärische Lösung des Terrorismus allein wird es nicht geben. Und militärische Maßnahmen dürfen der politischen, ökonomischen und sozialen Zurückdrängung des Terrorismus nicht zuwiderlaufen.

Die Grünen stehen also nicht auf Gedeih und Verderb an der Seite der Amerikaner?

Nicht auf Gedeih und Verderb, sondern im Kampf gegen den Terrorismus. Jeder militärische Einsatz muss erkennbar auf die Verantwortlichen des Terrors und deren Infrastruktur gerichtet sein. Alles andere wäre, um den Kanzler zu zitieren, Abenteurertum.

Gibt es nicht längst eine Rollenverteilung in der Koalition: Kanzler und Außenminister sichern den USA uneingeschränkte Solidarität zu und der grüne Parteivorsitzende Fritz Kuhn beruhigt seine Basis?

Nein. Eine Zustimmung zu Militäreinsätzen ist nur im Rahmen eines politischen Gesamtkonzepts richtig. Dabei geht es um Besonnenheit und eine Abwägung der Folgen. Es gibt einen Unterschied zwischen der Bombardierung Kabuls und der Zerstörung terroristischer Ausbildungslager. Wir Grünen wollen keine Rache im alttestamentarischen Sinne.

Und trotzdem halten Sie das Selbstverteidigungsrecht der USA für legitim.

Im Rahmen des Völkerrechts, ja. Der heimtückische Anschlag auf die USA, der vielen tausend Menschen das Leben gekostet hat, ist doch nicht nach 14 Tagen schon wieder Geschichte. Er bedeutet eine Bedrohung für den Weltfrieden, eine Bedrohung, die anhält.

Viele grüne Anhänger bedrängen Sie, militärischen Maßnahmen nicht zuzustimmen, weil diese nur zu neuem Terror führen.

Ich verstehe die Angst und Besorgnis vieler Menschen – aber Angst darf nicht die Politik ersetzen. Sie darf nicht dazu führen, dass wir die Solidarität mit den Amerikanern dementieren. Diese Spannung müssen wir aushalten, gerade wir Grünen. Wir stehen da mit unserer Diskussion stellvertretend für die gesamte Gesellschaft.

Es scheint, als hätten die Grünen Angst vor einer offenen Debatte. Im Bundestag durfte kein einziger Gegner von Militäraktionen sprechen.

Ich sehe das anders. Wir führen eine offene, kontroverse Debatte. Ich habe nicht den Eindruck, dass zum Beispiel ein Christian Ströbele mit seiner Haltung in der Öffentlichkeit kein Gehör findet. Aber wir gucken natürlich darauf, dass das Gemeinsame, das alle Grünen verbindet, in dieser Diskussion nicht verloren geht.

Bricht darüber die rot-grüne Koalition?

Koalitionen, auch rot-grüne, sind kein Selbstzweck. Aber ist besteht kein Zweifel, dass die Regierung Schröder/Fischer mehr als jede andere denkbare Koalition für eine besonnene Politik gegen den Terrorismus steht. Stellen Sie sich in dieser Situation eine Außenministerin Angela Merkel oder einen Außenminister Guido Westerwelle vor – deren Verhandlungspotenzial tendiert gegen null. Jeder sollte das mit Joschka Fischer und dessen zentraler Rolle bei der Lösung des Nahostkonflikts vergleichen.

Dafür nehmen die Grünen klaglos hin, dass Otto Schily den Sheriff spielt und Bürgerrechte abbaut, für die Ihre Partei 20 Jahre gekämpft hat?

Absolut falsch. Wir sehen unsere Aufgabe darin, als Bürgerrechtspartei mit einem liberalen Rechtsstaatsverständnis dafür zu sorgen, dass ein Kalkül der Terroristen nicht aufgeht: Aus einer offenen darf keine autoritäre Gesellschaft werden.

Haben Sie das Schily schon einmal so offen gesagt?

Aber sicher. Die Regierung Schröder/Fischer ist eine rot-grüne Regierung, keine große Koalition.

Das heißt, Schröder soll Schily zurückpfeifen?

Das heißt, dass die rot-grüne Koalition sich einigen wird. Auch wir wollen mehr Sicherheit für unsere Bürger. Also müssen wir gemeinsam zwei Fragen klären: Welche der vorgeschlagenen Anti-Terror-Maßnahmen helfen wirklich? Und wie wirken sie sich auf das Verhältnis von Staat und Bürger aus? Es gibt Punkte, zum Beispiel beim Einwanderungsgesetz, bei denen die grüne Farbe deutlich werden muss.

Wer regiert in vier Wochen die Bundesrepublik?

SPD und Grüne.

INTERVIEW: JENS KÖNIG/
PATRIK SCHWARZ