Nato vor Bündnisfall-Beschluss

Spekulationen in der Bundesregierung über unmittelbar bevorstehende Entscheidung in Brüssel über einen Nato-Einsatz. Bei „Gefahr in Verzug“ könnte die Bundesregierung auch ohne Bundestagsbeschluss deutsche Soldaten entsenden

von ANDREAS ZUMACH

Die eventuelle Feststellung des Bündnisfalles durch den Brüsseler Nato-Rat noch im Laufe des gestrigen Abends haben hektische Spekulationen ausgelöst über die Frage, ob deutsche Soldaten ohne vorherige Zustimunng des Bundestages bereits am Wochenende an militärischen Vergeltungsmaßnahmen für die Terroranschläge gegen die USA teilnehmen. Ludger Volmer, Staatsminister im Auswärtigen Amt, hatte am Morgen gesagt, auf der für den Spätnachmittag zunächst nur zum Thema „Mazedonien“ anberaumten Sitzung des Nato-Rates werde „es möglicherweise zu dem Beschluss kommen, der notwendig ist, damit der Nato-Ratsbeschluss vom 12. September aktiviert wird“ und der „Bündnisfall“ festgestellt wird. Dabei zieht der bewaffnete Angriff auf ein Nato-Mitglied den automatischen Beistand der anderen Mitglieder nach sich. Volmer erklärte: „Diese Entscheidung wird getroffen werden. Nicht nur auf der Basis der amerikanischen Informationen, sondern wir haben auch eigene Erkenntnisse.“

Regierungssprecher Bela Anda erklärte daraufhin, nach einer entsprechenden Feststellung des Nato-Rates sei ein Einsatz deutscher Soldaten bei „Gefahr im Verzug“ auch ohne vorherige Zustimmung des Bundestages möglich. Das vertrat auch der Vorsitzende des Bundestags-Rechtsausschusses, Rupert Scholz (CDU), unter Verweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Juli 1994.

Darin wird der Einsatz deutscher Soldaten im Ausland zwar grundsätzlich von der vorherigen Zustimmung des Bundestages abhängig gemacht. Allerdings dürfe der Parlamentsvorbehalt „die militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit“ der Bundesrepublik nicht beeinträchtigen. Daher sei die Regierung „bei Gefahr im Verzug“ berechtigt, vorläufig den Einsatz von Streitkräften zu beschließen. In jedem Fall aber müsse die Zustimmung des Parlamentes „umgehend“ nachträglich eingeholt und im Falle einer Ablehnung die Bundeswehrtruppe zurückgeholt werden.

Umstritten ist allerdings, ob sich die Regierung nur dann auf „Gefahr im Verzug“ berufen kann, wenn unmittelbar neue Terroranschläge drohen. Nach Ansicht von Scholz kann die Regierung jedoch auch „Gefahr im Verzug“ reklamieren, um militärische Maßnahmen geheim zu halten, damit ihr Erfolg und die Sicherheit der eigenen Soldaten nicht gefährdet werden.