Hängematten und Kaminsessel

■ Bei ihrem zweiten Treffen begab sich die Initiative Crossover auf die Suche nach einer „Staatsdefinition von links“ / Einig wurde man sich noch nicht

Wenn sich in der Arbeitnehmerkammer Menschen unter dem Titel Crossover versammeln, handelt es sich nicht um Musik. Auch Dissonanzen treten nur vereinzelt auf. Crossover ist vielmehr ein lockerer Verbund von Personen, die sich kritisch bis ablehnend zur Sanierungspolitik der großen Koalition verhalten. Zum engeren Kreis gehören unter anderen der Bürgerschaftsabgeordnete Mario Käse (SPD) und der grüne Landesvorstandssprecher Wolfram Seiler, Gisela Hülsbergen (ver.di) sowie PDS-Landesvorsitzender Klaus Rainer Rupp. Beim zweiten Jour Fixe der Initiative ging es um das Thema: „Wohl oder Übel Staat“. Gekommen waren gut 70 Diskutanten, Mandatsträger wie Parteilose, meist aus dem gemäßigten linken Spektrum. Als Außenseiter auch diesmal wieder dabei: Der christdemokratische Sanierungskritiker Erich Röper. Nur wenige unter 35-Jährige fanden sich ein – die Verfasstheit des bremischen Staates scheint dieser Altersgruppe im Moment nicht unter den Nägeln zu brennen.

Drei Vorträge erörterten die künftige Rolle des Staates vor dem Hintergrund der geplanten Verwaltungsreform und weiterer Privatisierungen öffentlicher Betriebe. Zugleich steckten sie inhaltlich die Bandbreite der bei Crossover vertretenen Positionen ab.

Wieviel Privatisierung erlaubt die Verfassung?

Der emeritierte Staatsrechtler Dian Schefold etwa fragte nach den verfassungsmäßigen Grenzen der Privatisierung: „Der Gedanke der sozialen Rechtsstaatlichkeit ist ein fundamentaler Teil des Grundgesetzes und als Schutzmechanismus gegen den Faschismus bereits in der Weimarer Verfassung verankert gewesen“, erinnerte der Professor. Bei Privatisierungen gehe außerdem parlamentarische Kontrolle verloren.“ Dem konnte Karoline Linnert (Grüne) nur beipflichten. Die Sozialpolitikerin sitzt im Aufsichtsrat einer stadteigenen GmbH, und zwar für den Anteilseigner Senat. „Bei Meinungsdifferenzen zwischen mir und dem Senat kann ich nur noch die Sitzungen verlassen, um weder mir selbst noch dem Anteilseigner gegenüber illoyal zu werden“, berichtete sie.

Staatsrechtler Schefold argumentierte grundsätzlich: „Privatisierung und Deregulierung sind Gegensätze. Die Verfassung verlangt, dass der Staat die durch Privatisierung frei werdenden Sektoren regelt.“ Der gebürtige Schweizer sah die Grenze bereits dadurch überschritten, dass Strafen für Ordnungswidrigkeiten privat eingetrieben werden. Der Staatsgerichtshof wird in Kürze darüber entscheiden, inwieweit etwa die Privatisierung von Kulturförderung und Hafenbehörde zulässig ist.

Motiv: Bremen weg vom Tropf kriegen

Staatsrat a.D. Hans-Christoph Hoppensack, einer der alten Haudegen der großen Koalition, verteidigte im Wesentlichen die Privatisierung. Er wolle vorrangig erreichen, „dass Bremen vom finanziellen Tropf wegkommt“. Seine Diagnose: „Der Staat muss sich weitestgehend aus der konkreten Durchführung von Dienstleistungen zurückziehen und sich auf seinen Kern, die Gewährleistungsverantwortung, beschränken.“ Mit anderen Worten: Die Privaten machen einfach , der Staat guckt nur noch, dass alles funktioniert. Lediglich den Erziehungsbereich mochte er nicht aus der staatlichen Hand geben.

Der Wirtschaftswissenschaftler Wolfram Elsner spielte auf der Klaviatur der gehobenen Globalisierungskritik und begann seine Überlegungen mit der Trias „New York, Genua, Seattle“. „In Seattle hat sich erstmals eine breite Koalition gegen die Plutokratie der G-7 formiert. In Genua hat der neoliberale Staat sein autoritäres Gesicht gezeigt. New York schließlich steht für ein System von Terror und Gegenterror, dem wir den sozialen Nährboden entziehen müssen“, sagte der Ökonom. An dieser Stelle war leichter Unmut in Teilen des Publikums zu spüren. Elsner forderte daraufhin einen „proaktiven, von oben nach unten umverteilenden“ Staat, der diejenigen stärke, die noch keine Stimme hätten. Bremen dürfe nicht „zum europäischen Pilotprojekt der Neuen Mitte werden“.

So wenig die Diskutanten über eine gemeinsame Alternativstrategie zur Sanierung verfügen, so wenig einigten sie sich auf ein Staatskonzept. Während die Etatisten die Notwendigkeit eines handlungsfähigen Sozialstaates verteidigten, waren andere eher bereit, den Rückzug des Staates zu tolerieren, wenn damit mehr Bürgerengagement und Partizipation verbunden seien.

Die Crossover-Meetings sind längst noch keine Vorwegnahme einer rot-rot-grünen Koalition in Bremen. Es gibt nichts zu entscheiden. Der prosaische politische Alltag der Crossover-AktivistInnen findet anderswo statt. Für die einen in der konsensualen Mühle der großen Koalition, für die anderen auf den harten Bänken der Opposition oder auch nur auf Demonstrationen und in Beiräten. So war die Stimmung friedvoll, die Gesprächsatmosphäre höflich. Es hatte ein bisschen etwas von einem Familientreffen. So kennt man sich inzwischen, hat die eine oder andere Schlacht miteinander, vielleicht in früheren Zeiten auch einmal gegeneinander ausgefochten.

Lediglich der ehemalige Staatsrat Christoph Hoppensack bekam am Ende doch sein Fett weg. Organisator Rupp: „Wer andere einer sozialen Hängemattenmentalität zeiht, möge doch die Kaminsesselhaltung in der bremischen Wirtschaftsförderung nicht verschweigen.“ Thomas Gebel