Exotenfaktor maskulin

Die „fraulichste Sportart der Welt“ will sich in Berlin mit dem World Cup etablieren – unklar ist, was dabei hilfreicher ist: Miniröcke und Glitzerkram oder strenge Regeln und Bewertungen für Experten

Hier und da findet sich ein Mitgeschleppter auf den Zuschauerrängen

von HOLGER STRÖBEL

Ja, ja, Japaner: Teilen mit Frank Steffel die Liebe zu Rothenburg ob der Tauber, wohnen in kleiderschrankgroßen Kabinen und finden englischen Hardrock toll. Und sie besitzen die einzige männliche Gruppe, die Rhythmische Sportgymnastik betreibt. Der Exotenfaktor alles Maskulinen ist beim anmutigen Tun auf der Bodenmatte damit fast so hoch wie bei Gipfeltreffen der europäischen Staatschefs der des Weiblichen. Auch in der Max-Schmeling-Halle beim Berlin World Cup. Denn die japanischen Gymnasten sind nicht da. Hier und da findet sich ein Mitgeschleppter auf den Zuschauerrängen oder als Security-Guard, sonst ist die Heimstätte von Alba und Altrockern fest in der Hand des Weiblichen. Ryhthmische Sportgymnastik bleibt eben, wie Altfunktionär Juan Antonio Samaranch einst entwaffnend feststellte, die „charmanteste und fraulichste Sportart der Welt“.

Selbst das Kampfgericht, so will es das Reglement, darf keine männlichen Mitglieder aufweisen. „Die Regel gibt es inzwischen aber nicht mehr“, korrigiert Sonja Schmeisser vom mit ausrichtenden Berliner Turnerbund. Und inzwischen dürfen die Sportlerinnen auch Miniröcke tragen, und Glitzerkram an den Trikots ist auch kein Grund mehr zur Disqualifikation.

Raus aus der Nische kommt man damit freilich nicht. „Uns geht es da wie dem Eiskunstlaufen oder dem Turniertanzen“, sagt Sonja Schmeisser, „wir haben einen kleinen, aber treuen Zuschauerstamm.“ Am Samstag kamen immerhin rund 1.000 Zuschauer in die Max-Schmeling-Halle, zum Finaltag am Sonntag meldeten die Veranstalter (allerdings bei abgehängten Oberrängen) mit 2.200 Zahlenden sogar ein ausverkauftes Haus.

Im Vergleich zur WM von 1997 an selber Stelle – insgesamt 22.000 Interessierte beklatschten damals den vierten Platz der deutschen Mannschaft – sind das nicht viel. Allerdings ist der Stellenwert des World Cups mit einer Weltmeisterschaft nicht vergleichbar. Die Berliner Wettkämpfe sind Auftakt einer noch unbestimmten Qualifikationsserie zum World Cup Finale: „Ein Anfang ist gemacht, wir wollen eine solch große Veranstaltung aber hier langfristig etablieren, denn Berlin ist der ideale Standort“, sagt Sonja Schmeisser.

Nur nicht für die deutschen Athletinnen. Olga Lukjanow vom TV Wattenscheid hielt sich zwar wacker und kam in allen vier Wettbewerben (Seil, Reifen, Ball, Keulen) ins Finale der letzten acht – damit ist die Bilanz der Gastgeberinnen aber auch schon hinlänglich beschrieben. Die deutsche Gruppen-Nationalmannschaft, nach dem vierten Platz bei Olympia komplett neu zusammengestellt, konnte nicht antreten, weil Veronika Kraus aufgrund einer Meniskusverletzung passen musste. So dominierten die Favoritinnen aus Russland, Bulgarien und Kasachstan den Wettbewerb beinahe nach Belieben.

Kein Wunder, die Sportart wurde in den 40er-Jahren schließlich in der Sowjetunion entwickelt und dort von der Ausdrucksgymnastik zum Wettbewerbssport weiterentwickelt. Die Vormachtstellung Osteuropas ist seither nie ernsthaft in Gefahr geraten. Kein Wunder: Um die 500.000 Mädchen betreiben Rhythmische Sportgymnastik allein in Russland als Leistungssport, in Deutschland zählt man hier gerade mal um die 600 Athletinnen. Auch das kein Wunder, schließlich ist die Karriere spätestens als Twentysomething beendet, und viel Geld lässt sich mit den Übungen auf dem 169 Quadratmeter großen Mattenquadrat auch nicht verdienen. Für den ersten Platz beim Berlin World Cup waren gerade mal 1.500 Mark ausgelobt.

Nicht wenige plädieren auch deshalb für eine weitere Öffnung: Weg vom durch strenge Bewertungsvorschriften auf ein Expertenpublikum reduzierten Nischensport, hin zu Show, Glitzer und Rängen voller Busreisenden. Sonja Schmeisser kann sich das gut vorstellen: „Warum nicht was mit dem Friedrichsstadtpalast zusammen machen?“ So weit seien diese beiden Welten schließlich nicht voneinander entfernt. Höchstens in Bezug auf die Männerquote.