Luftballons gegen den Krieg

5.000 Menschen kamen am Samstag zur ersten Anti-Kriegs-Demo vors Rote Rathaus. „Entstoibert Afghanistan“ war auf Plakaten zu lesen. Hier und da stiegen vereinzelt Ballons in den Himmel auf

von WIBKE BERGEMANN

Auf dem Platz vor dem Roten Rathaus, gleich neben dem Brunnen, diskutieren zwei aufgeregte ältere Herren. Der eine ausgemergelt, der andere auf einen Stock gestützt, werden sie so laut, dass sich die Leute nach ihnen umdrehen: „Wir haben noch den Krieg miterlebt. Jetzt wollen die Politiker wieder einen führen. Aber uns, das Volk, fragt keiner.“

Die beiden Rentner sind nicht Einzigen ihrer Generation, die am Samstagnachmittag zu der Kundgebung vor dem Rathaus gekommen sind. Rund 5.000 Menschen nach Auskunft der Veranstalter sind dem Aufruf eines breiten Anti-Kriegs-Bündnisses gefolgt, um unter dem Motto „,Keine Vergeltung, kein Krieg“ zu demonstrieren. Neben den üblichen Verdächtigen stehen auch viele Leute auf dem PLatz, die nicht so aussehen, als würden sie oft an Demonstrationen teilnehmen. Angst? „Nicht unbedingt“, sagt eine Frau mit Kinderwagen: „Das ist doch schlimm genug, wenn der Krieg woanders hingetragen wird.“ Ein Ehepaar in Barbourjacken meint: „Es gibt genug Leute, die jetzt trauern. Wir wollen lieber aufrütteln.“

„Alt und Jung“ haben sich hier versammelt“, freut sich eine Veteranin der Friedensbewegung. Sie hofft, dass dies erst der Auftakt ist. „Jetzt gehen wieder mehr Leute auf die Straße als im Kosovokrieg, weil die Betroffenheit größer ist.“

Immerhin: 11 Tage sind vergangen – seitdem der Nato-Bündnisfall und damit eine mögliche deutsche Kriegsbeteiligung festgestellt wurde – bis zur ersten zentralen Anti-Kriegs-Demonstration. Zunächst wurde getrauert: 200.000 Berliner vor dem Brandenburger Tor am Freitag nach den Anschlägen, alle Parteien waren vertreten. Hier nun ist die PDS die einzige Partei. In einer Ecke werden Luftballons mit Helium gefüllt, rote, auf denen PDS steht, und blaue mit Friedenstaube. Die Ballons werden nur im Doppelpack vergeben, Protest zwecklos. Viele verzichten allerdings gerne auf den PDS-Ballon und lassen einfach los. Vereinzelt steigen rote Ballons in den blauen Himmel auf.

Die Sonne scheint, aber die Menschen wirken resigniert. Die Veranstalter sind überrascht, dass überhaupt so viele gekommen sind. Auf der Bühne kündigen drei Schülerinnen für den Tag X eines Angriffs einen berlinweiten Schülerstreik an. Doch Sophie von der Fichtenberg-Oberschule in Steglitz berichtet enttäuscht, wie schwer es ist, ihre Mitschüler zu mobilisieren. Auch unter den Schülern habe die Mehrheit „das Gefühl, dass man nichts tun kann“. Man verlasse sich darauf, dass die Politiker schon wüssten, was sie tun. Dabei sei eine diffuse Angst verbreitet. Eine Mitschülerin von ihr sagt, „Ich will nicht, dass Deutschland in einem Krieg mitmischt: Da ist der Atomkrieg doch nicht mehr weit.“

Vor der Bühne bahnen sich drei verkleidete Jungs in Anzügen und langen Kleidern einen Weg durch die Menge. Auf ihren Plakaten steht „Entstoibert Afghanistan“ oder „Der Terrorismus muss Staatsmonopol bleiben“. Insgesamt ähneln sich die Sprüche der Bettlaken und Plakaten auf dem Platz. Man ist sich einig: Kein Krieg, gegen Imperialismus, mehr Gerechtigkeit. Aber es werden auch antiamerikanische Töne laut: Wie auf dem Plakat „Zuerst die Terroristen bestrafen, die Dresden, Hamburg, Hiroshima, Korea, Vietnam, Libyen, Irak und Jugoslawien zerbombt haben“.

Ein Redner der Initiative Flüchtlinge gegen Schilys rassistischen Gesetzesentwurf bringt die Menge in Bewegung. Er erntet viel Beifall und sogar Bravo-Rufe, als er warnt: „Die Bundesregierung nutzt die Situation, um ein rassistisches Asylgesetz durchzusetzen. Die Bomben auf Afghanistan können wir vielleicht nicht stoppen, aber dieses rassistische Gesetz. Er ist der letzte Redner, und gerade als er fertig ist, bricht ein heftiger Platzregen auf die Sprechchöre „Stop Schily’s Racist Law!“ nieder.

Der anschließende Demonstrationszug führt durch Mitte bis zum Auswärtigen Amt. Es geht vorbei am Hackeschen Markt, wo noch kräftig eingekauft und Tüten geschleppt werden. Die Glitzerfassaden wirken arroganter als sonst. Ein Passant trägt stolz einen Pullover, auf dem vorne eine große USA-Flagge eingestrickt ist. Von der drohenden Gefahr eines Krieges unter deutscher Beteiligung ist nur wenig zu spüren.