Generation Golfkrieg

Gibt es nur die Alternative zwischen Antiamerikanismus und totaler Solidarität mit den USA? Für die unter 30-Jährigen steht dieser Gegensatz längst nicht mehr zur Debatte

Heute gibt sich selbst die radikale Linke zwar antikapitalistisch, aber nicht antiamerikanisch

Ein Gespenst geht um in Deutschland: das Gespenst des Antiamerikanismus. Im Berliner Tagesspiegel, der sich in diesen Tagen immer mehr zurück zum Frontstadtorgan wandelt, beklagte Henryk M. Broder kürzlich, die „deutsche Entsolidarisierung mit den USA“ habe schon eingesetzt. Und Richard Herzinger legte an gleicher Stelle nach und behauptete, hierzulande regten sich „wieder antiamerikanische Affekte“. Beide sehen eine neue Generation heraufziehen: die Generation Golfkrieg.

Wovon reden diese Leute eigentlich? Von antiamerikanischer Hysterie ist auf deutschen Straßen derzeit jedenfalls wenig zu spüren. 200.000 Leute kamen allein zu der Kundgebung in Berlin, nicht zu sprechen von den vielen anderen Manifestationen spontaner Anteilnahme im ganzen Land. Im Radio läuft, als ständige Erinnerung an das Attentat, ein kitschiges Stück der Sängerin Enya, das mit akustischen Katastrophenberichtschnipseln unterlegt ist. Und die Bundesregierung hat sich, in vorauseilendem Beistand und gänzlich ungebeten, zur uneingeschränkten Solidarität mit den USA bekannt, Risiken und Nebenwirkungen inklusive. Manchen ist das noch nicht genug: Sie wollen die totale Solidarität.

Daher wird die alte Diagnose von der „German Angst“ noch einmal aufgewärmt – einer angeblich typisch deutschen Konfliktscheu, die Ausdruck des fehlenden Willens zur Verteidigung der westlichen Werte sei. Der Golfkrieg, in dem sich Teile der deutschen Linken hinter den Despoten Saddam Hussein gestellt hätten, dient als Beweis für diese These. Weiter gesponnen unterstellt dieses Argument, dass dieser Unwille auf ein tief sitzendes Unbehagen an der westlichen Kultur schließen lasse, für die der „American way of life“ steht. Wer diesen ablehne, verrate damit letztlich nur sein Ressentiment gegen den Werte-Pluralismus des Westens.

Das Problem an dieser Argumentation ist, dass sie so nicht mehr greift. Der amerikanische Lebensstil hat sich längst auch bis nach Berlin und Buxtehude verbreitet. Die Popkultur der USA ist auch die Popkultur der Bundesrepublik. Der deutsche Obrigkeitsstaat, gegen den man den Geschmack von Freiheit und Abenteuer in Stellung bringen könnte, existiert nicht mehr. Und spätestens mit der New Economy sind auch in der Arbeitswelt die Verhältnisse flexibel geworden. Wir sind heute alle Unternehmer in eigener Sache und damit alle ein wenig Amerikaner. Sich dagegen zu stemmen, scheint ungefähr so sinnvoll wie der Widerstand gegen die Verbreitung von Mobiltelefonen.

Selbst die radikale Linke in Deutschland gibt sich heute zwar antikapitalistisch, aber nicht antiamerikanisch. Der Globalisierungsgegner bezieht seine Kapitalismuskritik schließlich vor allem aus Nordamerika. Und wenn er den Ultraliberalismus ablehnt, so ahnt er doch, dass es die Attentäter nicht bloß auf dessen Symbole abgesehen hatten, sondern auf die liberale Gesellschaft als Ganzes.

In den Siebzigern wären die Fronten anders verlaufen. Damals konnte sich die deutsche Linke noch als Teil einer globalen Gegenkultur verstehen, deren Bezugsorte Woodstock und Berkeley waren, sicher aber nicht die Wall Street und Washington. Zivilisationskritik gehörte zum Selbstverständnis dieser Linken – der Gedanke, sich als Teil einer transatlantischen Zivilisation zu sehen, wäre ihr fremd gewesen. Gut möglich, dass damals mancherorts sogar so etwas wie klammheimliche Freude geherrscht hätte, wäre damals ein vergleichbarer Anschlag verübt worden. Spätestens seit den Neunzigern aber greifen die Parameter von Gegenkultur und Massenkultur nicht mehr.

Seit die Subkulturen im Mainstream aufgegangen sind, scheint es keine Alternative mehr zu geben zum richtigen Leben im Falschen. Weder Punkrock noch HipHop sind heute noch Stachel gegen die Kulturindustrie – sie sind die Kulturindustrie. Mag sein, dass ansonsten antiautoritär erziehende Eltern noch in den frühen 80ern ihren Kindern kein Kaugummi kaufen mochten, ihnen US-Fernsehserien verboten und die Klassenkameraden auch nicht zum Kindergeburtstag bei McDonald’s einluden. Aber das ist Geschichte. Die deutsche Pop-Literatur der späten 90er war noch ein später, etwas pubertärer Reflex auf diese schlichte Haltung. Deren Feier der Oberflächlichkeit und des Konsums war auch ein Protest gegen die Moral der Eltern, Lehrer und Klassensprecher, die alles immer so politisch nahmen. Solcher Tyrannei des schlechten Gewissens hielten Schreiber wie Florian Illies die Unschuldsmiene der Spätgeborenen entgegen, gegen Konsumkritik setzten sie Affirmation.

Diesen Kulturwandel, der auch ein Generationenwandel ist, haben manche offenbar nicht mitbekommen. Sie setzen Kritik an der US-Außenpolitik mit einer Ablehnung Amerikas gleich und fechten mit dem Schlagwort Antiamerikanismus vergangene Schlachten aus. Amerika aber taugt für die Um-die-Dreißigjährigen längst nicht mehr zur Abgrenzung. Es ist keine Metapher für Massenkultur und Uniformität, sondern, als Patchwork pluraler Lebensentwürfe, ein Identifikationsobjekt. Nirgendwo verdichtet sich das Ideal dieses funktionierenden Nebeneinanders so wie in New York, weswegen die gefühlte Nähe zu dieser Stadt besonders groß ist. Fast jeder war schließlich schon einmal dort. Und hat sich, ganz ironisch natürlich, eines dieser „I love NY“-T-Shirts gekauft – die mit dem Herz.

In den Siebzigern konnte sich die deutsche Linke noch als Teil einer globalen Gegenkultur verstehen

Der 11. September hat deswegen kaum jemanden unberührt gelassen. Die Frage ist nur: Was folgt daraus? Wird sich die Generation Golf nun, wie noch beim Golfkrieg, ihre Bettlaken mit Slogans bemalen und aus den Fenstern hängen? Wird sie stattdessen, im Namen der Verteidigung der freien Welt, in einen Fähnchen schwenkenden Hurra-Amerikanismus einstimmen, um, im Namen eines nebulösen „wir“ gegen ein noch unbestimmteres „sie“ in den Krieg zu ziehen? Immerhin gab der Autor Joachim Bessing im Generations-Manifest „Tristesse Royale“ zu Protokoll: Wenn jetzt der August 1914 wäre und er in Oxford säße, dann wäre er der Erste, der sich freiwillig meldete. Ab nach Kabul also? Oder werden sie weiter auf dem Luxus beharren, zu alldem keine Meinung zu haben?

Wahrscheinlich Letzteres, denn die Verhältnisse sind einfach zu kompliziert. Und wer bitte sympathisiert schon mit den Taliban? Nach dem spontanen Schreck ist deswegen längst wieder Alltag eingekehrt und Pragmatismus as usual. Nicht anders übrigens als in New York, wo die meisten, den Ruinen im Stadtzentrum zum Trotz, wieder zurück zur Arbeit gehen und Witze machen, um die Katastrophe zu verarbeiten. Dort sagte Bürgermeister Rudolph Giuliani: Wer die Stadt unterstützen wolle, der solle sich Karten für den Broadway kaufen. An die komme man jetzt so günstig wie noch nie.

DANIEL BAX