die stimme der kritik
: betr.: Rauchen für den Frieden

Eine Charakterschwäche wird zum patriotischen Akt

Endlich ist Schluss mit dem subtilen Psychoterror der Nichtraucher, den Katzentischen in Restaurants, den entwürdigenden rauchfreien Zonen. Die unsinnigen Schilder mit der durchkreuzten Zigarette auf zugigen U-Bahn-Stationen werden sofort abmontiert. Vorbei auch das sauertöpfische Genörgel: „Hier ist aber Rauchverbot!“

Vier Pfennige mehr Tabaksteuer pro Zigarette, 76 pro Schachtel, 7,60 Mark pro Stange. Der Obolus gegen der Terrorismus kann nur eines heißen: rauchen für den Frieden! Paffen gegen den Terrorismus, qualmen, dass die Schwarte kracht, plotzen, dass die Bronchien rasseln. Die individuelle Genusssucht analer Charakterschwäche bekommt durch die Kriegssteuer ihre höhere Weihe, wird zum patriotischen Akt.

Rauchersalons kommen wieder in Mode, werden kollektive Treffpunkte aufopfernder Geisteshaltung. Lieb’ Vaterland, magst ruhig sein! Rauchen ist die erste Bürgerpflicht. Wir Raucher garantieren fürderhin mit vollem, mutigem Einsatz auf Kosten unserer Börse, unserer Gesundheit und hinter vergilbten Gardinen die Sicherheit der Restbevölkerung. Zigarren, Zigaretten, Kautabak werden zum glimmenden Symbol des unbeugsamen Willens, die westliche Zivilisation zu verteidigen, koste es, was es wolle. Die Freiheitsstatue zündet statt ihrer Fackel die Friedenspfeife an. Das hat Tradition in God’s own country: Die indigine amerikanische Bevölkerung nutzte den Tabak schließlich nicht nur zur Meditation, sondern auch für den Frieden, zur Versöhnung zertrittener Stämme, zur Besiegelung von Verträgen mit den Bleichgesichtern. Und gegen Mücken.

Die Zigarette von heute kann mehr. Wer früher einmal das World Trade Center besichtigt hatte, fühlt sich dieser Tage irgendwie wundersam gerettet, weil er nicht zur falschen Zeit am falschen Ort war. Davon sind auch Raucher nicht frei. Der Anschlag gegen das World Trade Center sei in Wirklichkeit einer gegen die Nichtraucher gewesen, sagt ein New-York-erfahrener Freund und führt den Beweis. In amerikanischen Hochhäusern arbeiten, sagt er, die Tabakverweigerer ohne Pause brav in ihren Büros, während die Raucher gemobbt werden, sich täglich mehrmals beschämt davonschleichen, um dann winzig klein und verloren in Wind und Wetter vor den Glastüren am Fuße der Wolkenkratzer auf der Straße stehen, frieren und Spießruten laufen zu müssen. Und? „Ich wäre“, sagt er, „bestimmt gerade vor der Tür gewesen. Eine rauchen.“ In die ewigen Jagdgründe aber müssen wir schließlich alle irgendwann einmal eingehen. HEIDE PLATEN